piwik no script img

Beam me up, Mario

Vom Überleben in der Krise

INGO ARZT

Die Ökonomen können sich einfach nicht darauf einigen, was der Euroraum braucht. Ein bisschen Wachstum? Ja, gut, nur wie? Die Antwort ist simpel: Das Beamen muss erfunden werden.

Doch zunächst zu den News: Die Europäische Zentralbank (EZB)probiert, die Wirtschaft mit einer Zinssenkung anzukurbeln. Für 0,15 Prozent können sich Banken bei der EZB nun Geld leihen. Damit die Banken das Geld auch an die in Südeuropa darbende Wirtschaft weiterleiten, gibt es – nur für Banker, nicht für Menschen – noch einen ominösen Negativzins. Bisher liehen sich Banken Geld bei der EZB, um es danach sofort wieder ebendort zu horten und dafür auch noch Zinsen zu bekommen. Jetzt gibt es negative Zinsen. Im übertragenen Sinne fackelt die EZB also jeden Tag ein paar Scheinchen ab, die man ihr anvertraut. Also besser, die Banken leihen es einer Brauerei, die neue Sudpfannen zum Expandieren kaufen will. Oder sonst wem, der Geld investiert, statt es zu bunkern – so die EZB-Idee.

Die drei Ziele dahinter: Wachstum, Wachstum und Wachstum. Das ist kurzfristig richtig. Millionen von Menschen in Südeuropa haben keine Perspektive auf einen sinnvollen, erfüllenden Job, noch nicht mal auf irgendeinen Job. Ihre Zukunft wird zwangsversteigert und mit freundlichen Grüßen nach Deutschland überwiesen. Nun lässt EZB-Präsident Mario Draghi mit seiner Niedrigzinspolitik die deutschen Sparer durch die Hintertür dafür zahlen: Durch die niedrigen Zinsen könnte der Wirtschaft im Süden Geld zufließen, wodurch sie wachsen könnte. Das sind gerechtfertigte Reparationen für Merkels aggressive Spardiktatur, die Staaten als Investoren ausfallen lässt. Man muss Draghi dafür danken. Auch wenn er eine neoliberale Micky Maus ist.

Langfristig sieht die Lage anders aus. Das Geld, das wir alle für die Rente oder für sonst was sparen, wird keine vier bis fünf Prozent Rendite mehr abwerfen. Sicherlich wird die EZB die Leitzinsen irgendwann wiederanheben – was man als Zentralbank eben so macht, um Inflation, Beschäftigung und Wachstum irgendwie sinnvoll zu steuern. Allerdings, es ist es fast schon eine Binse: Das Wachstum in den Industrieländern sinkt im Schnitt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wer mehr Rendite will, nimmt zwangsläufig jemand anderem etwas – was real geschieht. Kapitalerträge steigen, der Lohn der Arbeit sinkt, das geht seit Jahrzehnten so. Zudem: Die Bevölkerung wächst nicht mehr, schrumpft bald, und wenigstens ein paar Postmaterialisten lassen sich nicht mehr jeden Schrott andrehen, um den ewigen Konsum noch weiter zu steigern. Die Ressourcen des Planeten sind außerdem begrenzt. Kaum einer hat mehr auf dem Schirm, dass am Vorabend der Finanzkrise 2008 die Rohstoffpreise so hoch waren, dass das globale Wachstum auch ohne US-Immobilienblase ein Ende gefunden hätte.

Wachstum ist also entweder für eine begrenzte globale Elite drin, die auf Kosten anderer lebt. Jeder, der ernsthaft glaubt, auf seine Riester-Ersparnisse 30 Jahre lang fünf Prozent Zinsen erwarten zu können, gehört dazu. Oder der Einsatz von Rohstoffen und Energie wird so viel effizienter, dass der technische Fortschritt allein alles auf einmal schafft: mehr Wohlstand für uns und die sechs Milliarden Menschen, die nichts davon haben. Gleichzeitig müssen für alle zusammen deutlich weniger Rohstoffe und Energie verbraucht werden. Sonst kollabiert das Klima und hat sich das mit dem Wachstum angesichts des weiteren Raubbaus an der Natur und zur Neige gehender Rohstoffe dann ohnehin erledigt. Zwar wirtschaften die Industrieländer seit Jahren effizienter, allerdings geht die Entwicklung viel zu langsam.

Womit wir wieder beim Beamen wären. Das wäre so eine Technik, die eine Effizienzrevolution auslösen würde – falls das Beamen nicht zu viel Strom braucht. Dann könnte man erst mal ein paar Jahrzehnte wachsen, vielleicht auch in Südeuropa, könnte die Zinsen wiederanheben, der deutsche Sparer wäre glücklich und der Öko sowieso.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen