: Stromkonzern trickst bei Atomausstieg
EnBW wird voraussichtlich noch in dieser Woche für sein Atomkraftwerk Neckarwestheim eine längere Laufzeit beantragen. Der zuständige Staatssekretär Michel Müller (SPD) sieht darin einen „Verstoß gegen den Geist des Gesetzes zum Atomausstieg“
VON TARIK AHMIA
Die deutschen Stromkonzerne sägen weiter am Atomausstieg. Der Stromkonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW) wird nach taz-Informationen noch in dieser Woche beim Bundesumweltministerium eine länge Laufzeit für seine Atommeiler Neckarwestheim I beantragen, als dies die Planung vorsieht.
Eigentlich sollte das 30 Jahre alte Kraftwerk ab 2009 vom Netz gehen. So jedenfalls sieht es die Vereinbarung zum Atomausstieg der Bundesregierung vor. Wenn es nach den Wünschen des Konzerns geht, soll das Ende um einige Jahre nach hinten verschoben werden, indem ein Teil der Strommenge eines neueren Kraftwerks auf das alte Kraftwerk übertragen wird. Das Vorgehen ist jedoch rechtlich umstritten, weil Strommengen laut Atomgesetz nur in eng definierten Ausnahmesituationen von neueren auf ältere Kraftwerke übertragen werden dürfen. Die Bedingungen dafür sind aus Sicht der SPD im Bundestag nicht gegeben.
„Der Antrag wird mit hoher Wahrscheinlichkeit abgelehnt“, sagte Ulrich Kelber, umweltpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, der taz. „Es dürfte schwierig zu begründen sein, ein neues Kraftwerk kürzer laufen zu lassen, um unsicherere ältere Kraftwerke weiter zu betreiben“, so Kelber.
Auch der zuständige Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael Müller (SPD), sagte der taz: „Die Übertragung von Strommengen auf alte Atomkraftwerke ist ein eindeutiger Verstoß gegen den Geist des Ausstiegsgesetzes.“
Zuständig für die Prüfung des Antrages ist zunächst allein Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und sein Ministerium. „Sollten etwa Sicherheitsgründe gegen einen weiteren Betrieb der alten Reaktoren sprechen, könnte das Bundesumweltministerium allein die Anträge ablehnen“, sagte Müller. Das Kalkül der Stromkonzerne ist jedoch klar: Wenn sie die Abschaltung der Atommeiler bis in die nächste Legislaturperiode verschleppen können, wahren sie die Chance, dass der Beschluss zum Atomausstieg möglicherweise noch ganz kippt.
Große Hoffnungen sollten sich die Konzerne jedoch nicht machen. „Einen Wiedereinstieg in die Atomenergie wird es mit der SPD nicht geben“, sagte Ulrich Kelber.
Der Antrag von EnBW kommt nicht überraschend. Die vier marktbeherrschenden Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW hatten bereits im September angekündigt, insgesamt für vier Atomkraftwerke, die in dieser Legislaturperiode vom Netz gehen sollen, längere Betriebsgenehmigungen zu beantragen. Das Atomgesetz aus dem Jahr 2000 macht die Restlaufzeit jedes Atomkraftwerkes in Deutschland von einer produzierten Elektrizitätsmenge abhängig. RWE hatte im September erstmals für sein Kraftwerk Biblis A, das etwa Mitte 2007 abgeschaltet werden soll, eine längere Laufzeit beantragt. Dafür will RWE einen Teil der Reststrommenge des stillgelegten Atommeilers Mühlheim-Kärlich auf Biblis A übertragen. Dessen Betriebsgenehmigung könnte sich dadurch bis 2011 verlängern.
Zeitgleich mit dem RWE-Antrag hatte EnBW angekündigt, „im vierten Quartal“ einen ähnlichen Antrag für Neckarwestheim zu stellen. EnBW wollte gestern auf Nachfrage der taz zu konkreten Terminen keine Stellung nehmen: „Das ist und bleibt Spekulation“, sagte EnBW-Sprecher Dirk Ommeln. „Wir werden allerdings noch in diesem Jahr zu einem geeigneten Zeitpunkt einen Antrag für Neckarwestheim stellen.“ Von welchen Faktoren der geeignete Zeitpunkt abhängt, wollte Ommeln nicht verraten. Sicher ist, dass EnBW dafür noch 20 Tage Zeit hat.