: Die Nervensägen sind zurück
KLIMA Umweltverbände kehren offiziell auf die UN-Klimakonferenz in Bonn zurück. „Helft uns – oder geht aus dem Weg!“ Verhandler hoffen auf den Druck der Straße. Deutschland will Emissionsrechte stilllegen
EU-KOMMISSARIN CONNIE HEDEGAARD
BONN taz | Unter lautem Protest hatten sie vor einem halben Jahr die Klimakonferenz verlassen, unter leisem Protest kehrten sie jetzt zurück. Einige Dutzend AktivistInnen von internationalen Umwelt- und Sozialverbänden versammelten sich am Freitag morgen vor dem Bonner Hotel Maritim, wo noch bis Ende kommender Woche die halbjährliche UN-Klimakonferenz stattfindet. Hier forderten sie Klimaschutz und Erneuerbare Energien – und gliederten sich wieder in den Prozess ein.
Allerdings nicht, ohne die in Bonn versammelten Klimapolitiker aufzufordern: „Helft uns – oder geht aus dem Weg!“ Die Filipina Lidy Nacpil von der NGO „Jubilee South“ erklärte: „Diese Verhandlungen sind für viele Menschen in verwundbaren Ländern eine Sache auf Leben und Tod.“ Zeitgleich mit der UN-Klimakonferenz in Warschau im vergangenen November hatte ein Taifun die Philippinen verwüstet und Zehntausende Opfer gefordert.
Von der Politik erwarten die etwa 100 Gruppen aus der Öko-, Sozial- und Frauenbewegung schnelles und entschlossenes Handeln. Dafür aber ist die Konferenz in Bonn gar nicht gedacht. Sie ist nur eine Vorbereitung auf das „Paris-Protokoll“, das im Dezember 2015 besiegelt werden soll. Dessen erste Grundzüge sollen bei der Konferenz in Lima im Dezember 2014 stehen. Spätestens im März 2015 sollen die Staaten Pläne zum Klimaschutz auf den Tisch legen. „18 Monate bis Paris können sehr kurz sein“, warnte EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard.
Die Rückkehr der NGOs ist nicht nur für viele arme Staaten entscheidend, denen sie oft wertvolle logistische und fachliche Hilfe leisten. Vor allem soll der entscheidende Druck auf die Staaten von der Öko- und Entwicklungslobby kommen – das hoffen die Verhandler selbst. „Wir brauchen eine Menge Druck aus der Zivilgesellschaft“, sagte Peter Betts von der britischen Delegation am Rande der Konferenz. Sein Kollege Everton Lucero aus Brasilien „zählt sehr“ auf diesen Einfluss. Fortschritt für eine faire Lastenverteilung beim Klimaschutz gebe es nur, „wenn die NGOs die Pläne der Länder immer wieder beurteilen“.
Auch die Politik erzeugt Druck. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) verkündete in Bonn, Deutschland „denkt darüber nach, die Emissionsrechte stillzulegen, die wegen unseres Klimaziels von minus 40 Prozent bis 2020 frei werden.“ Mit dem in der Regierung nicht abgestimmten Vorstoß will Hendricks sicherstellen, dass das in Deutschland gesparte CO2 nicht anderswo in die Luft geblasen wird. Auch die EU rühmte sich, ihr Klimaschutzziel von minus 20 Prozent bis 2020 mit 24,5 Prozent „überzuerfüllen“. Da waren die NGOs gleich wieder in ihrer Paraderolle des ewig Unzufriedenen: Die EU tue keineswegs zu viel – sondern habe sich schlicht zu wenig vorgenommen.
BERNHARD PÖTTER