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Archiv-Artikel

Hart hineingestellt

Die dunkle Seite des Tourismus: Die Kestnergesellschaft Hannover zeigt raumgreifende Installationen des Berliner Künstlers Franz Ackermann

von BARBARA MÜRDTER

Die Installation „23 Gespenster“ beschäftigt sich mit den afrikanischen Bootsflüchtlingen. Das erfährt man am Eingang der Kestnergesellschaft zur Ausstellung von Franz Ackermann. Solchermaßen informiert, betritt der Besucher den theatralisch inszenierten, ein wenig unordentlichen Raum, steht zwischen künstlichen Palmen, einem riesigen, für Menschen gedachten Käfig, geht über bootsdeckartige Planken. Reisekataloge liegen herum, es findet sich ein Billardtisch wie in einer Hotellobby. Ein Lüster aus roten Lampen taucht den abgedunkelten Raum hin und wieder in bedrohliches Licht. Ringsum Ackermanns quietschbunte großformatige Ölbilder, die sich, detailreich, einer schnellen Interpretation entziehen. Dazwischen liegen Haufen hingeworfener Kleider, die aussehen wie aus einem Altkleiderbehälter; es könnten aber auch Kleidungsstücke der Bootsflüchtlinge sein. Sind sie ertrunken? Abgeschoben? Völlig irritieren dann die guten alten DDR-Faltboote der Marke „Delphin“. Dem Besucher wird klar: Hier geht es nicht um eine authentische Wiedergabe eines Sachverhalts, um eine offensichtliche politische Anklage, sondern um Assoziationen.

Ackermanns Installationen aus Gemälden, Videos und Alltagsgegenständen konfrontieren einen mit einem Raum voller Dinge, die bei jedem genaueren Hinschauen einen neuen Aspekt liefern und nicht immer gleich zu interpretieren sind. Es gehe ihm nicht darum, die Ereignisse zu romantisieren, sagt Ackermann. „Vielmehr wollte ich in einem realen Raum, eben diesem Schwimmbad, das die Kestnergesellschaft Hannover ja mal war, ein Szenario entwickeln, was durchaus mit Komponenten wie Ferne spielt, aber alles ganz hart im Raum selbst lässt. Die Assoziation „Afrika-Migration“ bleibt quasi im Raum stecken.“

Als einer der exponiertesten Vertreter der zeitgenössischen Malerei hat der 1963 im bayerischen Neumarkt St. Veit geborene Ackermann sein Atelier in Berlin und unterrichtet als Professor an der Kunstakademie in Karlsruhe. Während eines einjährigen Studienaufenthaltes in Hongkong, Anfang der 90er-Jahre, begann er seine Eindrücke der Metropole wie die anderer Reisen in ganz Asien auf chinesischen Blöcken im Format 13 x 19 cm festzuhalten.

Diese Zeichnungen, die oft hintereinander an mehreren Orten in übereinander liegenden Schichten – aus Erinnerungen und spontanen Eindrücke – entstanden, bezeichnete Ackermann bereits früh als „Mental Maps“. Sie sind keine funktionalen Karten, die von A nach B führen, sondern eine Art zeichnerisches Reisetagebuch. Mit Bleistift und grellen Aquarellfarben mischte er abstrakte Elemente mit nahezu realistischen Architekturansichten und organischen Formen wie Baumwurzeln, Adern, Nervenbahnen. Daraus entwickelte er später an der Pop-Art geschulte großformatige Ölgemälde. Sie sind bis heute zentraler Teil er in seinen Installationen.

Das Reisen ist Ackermanns Thema, zumeist geht es um Städte und Metropolen, aber auch um Wüsten und karge Landschaften. Gleichwohl versucht er dabei „mehr über Grenzen, Orte und Territorien zu erfahren“. Auch wenn sich der Künstler auf Richard Sennett oder Mike Davis bezieht, sieht er kunstgeschichtliche und soziologische Texte nur als begleitend zu seiner Arbeit an. Selbst wenn solche Bezüge bei der Interpretation sehr dienlich sein können, will er „gar nicht in so einen reflexiven Diskurs eintauchen“.

Anders als der gerade in Berlin und Hamburg mit einer Retrospektive geehrte Hans Haacke möchte er auch das Politische in seinen Arbeiten nicht so offenkundig machen. Es soll eher im Titel, im Raum schweben. Trotzdem recherchiert er zu Beginn einer Arbeit durchaus die tagespolitischen Themen und ihre mediale Aufbereitung. Dann aber setzen andere, ästhetische Prozesse ein: „Offenheit ist mir wichtig – eine Ambivalenz zwischen einem wie auch immer definierten formalen, farbigen Etwas und der wie auch immer definierten Botschaft dahinter“, so Ackermann. Aus seiner Sicht braucht die bildende Kunst den „Moment der gestalterische Autonomie“.

Als ausgesprochen anregend beim Nachdenken über die Ausstellung erweist sich der Katalog, der keine Dokumentation der Schau, sondern eine eigenständige, weiterführende Publikation ist. Besonders der Text des spanischen Kunsthistorikers Javier Panera Cuevas ist die Lektüre wert. Er unternimmt einen wilden Ritt durch die Kunst- und Kulturgeschichte, von historischen Kartenmalern über das „dérive“ der Situationisten, dem Erkunden einer Stadt durch zielloses Umherschweifen, bis zu Howard Rheingolds „Smart Mobs“. Ergänzt wird der Band durch Bilder von Ackermann, die nicht in der Ausstellung zu sehen sind. Dazu kommen schließlich noch Fotos, die im Auftrag des Künstlers aufgenommen wurden – als Dokumente des Unterwegsseins.

Bis 28. Januar 2007, Katalog (Hatje Cantz) 29 €