: Jenseits der Konfrontationslogik
Die Linke muss sich im Nahostkonflikt uneingeschränkt zum Existenzrecht Israels bekennen. Es kann keine Solidarität mit reaktionär-islamischen Bewegungen geben
Wenn es um den Nahen und Mittleren Osten geht, scheiden sich in der deutschen Linken die Geister. Auf der einen Seite wird Israel gerne mal zum „imperialistischen Bollwerk der USA“ reduziert. Auf der anderen Seite ist schnell der Vorwurf des Antisemitismus zur Hand. Auch die Linkspartei, im Entstehen befindlich, bleibt angesichts der aktuellen Lage im Nahen Osten davon nicht unberührt.
Die historische Verantwortung angesichts der Schoah ist und bleibt ein Grund, innerhalb globaler linker Diskurse für das bedingungslose Existenzrecht Israels einzutreten. Eliminatorischer Antisemitismus war ein zentraler ideologischer Bestandteil des Nationalsozialismus, der von der Mehrheit der Deutschen getragen wurde. Der Umstand, dass jüdische Identität oder eine wie auch immer zugeschriebene jüdische Abstammung heute noch immer eine Gefährdung für Menschen darstellt, ist ein wichtiger Grund, der die Existenz Israels nicht nur rechtfertigt, sondern auch erforderlich macht: Auschwitz machte Israel zur Notwendigkeit.
Dabei handelt es sich nicht, wie von manchen Kritikern dieser Position vorgebracht, um einen deutschen Spleen. Dazu befinden sich antisemitische Ideologien, die auf eine Elimination Israels zielen, leider zu sehr im Aufwind. Auch in den arabischen Ländern werden antizionistische und antisemitische Ressentiments gern zur Verdeckung bestehender sozialer Antagonismen missbraucht. Dies ist ein weiterer Grund, warum gerade Linke Antisemitismus in arabischen Ländern nicht hinnehmen oder gar entschuldigen dürfen.
Mit dem Angriff auf den Libanon hat die israelische Regierung das Völkerrecht gebrochen, und mit den militärischen Reaktionen auf die Provokationen der Hisbollah hat sie leichtfertig zivile Opfer in Kauf genommen. Daran gibt es, bei aller Solidarität und allem Wissen um Israels besondere Situation, nichts zu relativieren und nichts zu entschuldigen. Auch wäre es vermessen, zu behaupten, Israel, seine Regierungen, sein Militär und seine Bürger trügen keine Verantwortung für die zahlreichen zivilen Opfer von Kriegen und Vertreibungen der Vergangenheit. Bis heute ist Israel Besatzungsmacht auf einem Territorium, das nicht zu seinem Staatsgebiet gehört. Und in den Jahrzehnten seiner Existenz hat es zahlreiche Kriege geführt, die allerdings meist unter dem Zeichen der Verteidigung standen und keinen „imperialistischen“ Zielen folgten. Dass dabei Menschenrechtsverletzungen stattfanden und stattfinden, steht außer Zweifel und gehört kritisiert.
Das ist aber kein Grund, sich auf die Seite derer zu stellen, die Israel und seine Bevölkerung vernichten wollen. Er rechtfertigt nicht, dass Existenzrecht Israels mit dem Verweis auf das Existenzrecht eines palästinensischen Staates zu relativieren. Und es gibt auch keinen erkennbaren Grund, mit jenen zu sympathisieren, die ihren Widerstand auf menschenverachtende Weise gegen Zivilisten richten. Die ohnehin oft fragwürdige Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen im Namen des Antiimperialismus lässt sich nicht ohne weiteres auf den radikalen, politischen Islamismus beziehen. Eine emanzipatorische Komponente ist bei diesen Bewegungen nicht erkennbar, weder für Einzelne noch für Kollektive.
Sind trotzdem, etwa mit Verweis auf die besondere Situation, Sympathien mit diesen Gruppen oder Verständnis für sie angemessen? Vermutlich möchte kein Linker in einer Gesellschaft leben, die nach dem Beispiel von Afghanistan zur Zeit der Taliban-Herrschaft organisiert ist. Warum also sollte dies den Menschen zugemutet werden, die im Aktionsradius dieser Bewegungen leben? Solidarität mit Reaktionären – und sei sie nur temporär – bringt den weltweiten Freiheitskampf nicht voran.
Die Position der so genannten „antideutschen“ Linken folgt ähnlichen Mustern, nur spiegelverkehrt. Zumindest einigen Vertretern dieser Richtung erscheinen Israel und die USA als ultimative Verteidiger westlicher, demokratischer oder gar „linker“ Werte. Diese so genannten „Antideutschen“ diskreditieren sich durch ihre Einseitigkeit und ihren leichtfertigen Umgang mit dem Vorwurf des Antisemitismus. Von einer antimilitaristischen und emanzipatorischen Orientierung kann bei ihnen keine Rede sein.
Es bedarf einer linken Kritik, die frei ist von Mystifizierungen und Verschwörungstheorien. Linke Kritik globaler Machtpolitik kann heute nicht bruchlos an die Imperialismuskritik aus Zeiten des Kalten Krieges anknüpfen. Diese Welt ist trotz der US-amerikanischen Dominanzansprüche viel zu komplex, um sie in ein einfaches Schema zu pressen. Die nach hegemonialer Teilhabe strebenden Kräfte – staatliche wie nichtstaatliche – sind vielfältig. Gerade die aktuellen Ereignisse im Irak und in Afghanistan zeigen zudem die Grenzen der US-amerikanischen Hegemonie auf.
Auf den Charakter von Protestbewegungen unterdrückter Bevölkerungen lassen sich die radikalislamischen Bewegungen ohnehin nicht reduzieren – auch wenn sich in ihrem Rahmen Protest kanalisiert. Linke Solidarität mit der libanesischen oder palästinensischen Bevölkerung kann deshalb nicht bedeuten, die dort verbreiteten Sympathien zu radikalen, gewaltverherrlichenden Bewegungen zu akzeptieren.
Schon im Sinne der Bekämpfung rechtsradikaler Unterwanderungsversuche von sozialen Bewegungen hierzulande müssen sich bestimmte Grundsätze durchsetzen. Schließlich dürfte niemandem die verlogene Palästina-Solidarität, der plumpe Antiamerikanismus und die geheuchelte Friedensrhetorik der radikalen Rechten entgangen sein. Zu einem solchen Essential gehört die bedingungslose Anerkennung des Existenzrechts Israels. Selbst wenn man keine strikt pazifistische Grundhaltung einnimmt: Es gibt triftige Gründe dafür, dass Linke in der Frage, welche Mittel bei der Durchsetzung von linken Zielen angewendet werden sollten und welche nicht, klar Partei für die Gewaltfreiheit ergreifen. Mit nationalen, vorgeblich antiimperialistischen Befreiungsbewegungen, die sich Methoden des Terrors bedienen, kann es kein Bündnis und keine Solidarität geben.
Bündnispartner muss sich die Linke unter den demokratisch orientierten Kräften in der Region suchen. Kräfte, die mit der herrschenden Logik und mit der herrschenden Macht brechen wollen, sind darauf angewiesen, dass es Räume gibt zur Verständigung. Im Schatten von drohenden Gewaltanschlägen können sich solche Räume nicht entwickeln – und zwar unabhängig davon, ob die Gewaltanschläge auf Gesundheit und Leben von Menschen, von Staaten oder von Einzelgruppen abzielen.
Für Linke gilt es deshalb, praktische Solidarität mit jenen sozialen Bewegungen zu üben, die sich der herrschenden Konfrontationslogik entziehen. Israels Existenzrecht steht dabei außer Frage und darf nicht zur Projektionsfläche für real empfundene, aber nicht hinterfragte Widersprüche innerhalb des globalen Kapitalismus werden.
KATJA KIPPING