„Präsidialgarde begeht Übergriffe auf die Bevölkerung“

Ibrahima Fall, Leiter einer humanitären UN-Sondermission in den Kriegsgebieten der Zentralafrikanischen Republik, erhebt schwere Vorwürfe gegen die dortige Regierung

Taz: In der Zentralafrikanischen Republik herrscht Krieg, verbunden mit der Ausweitung der Krise in Darfur. Sie haben im November eine Mission in dem Land geleitet. Wie ist die Lage?

Ibrahima Fall: Es gibt heute eine ernste humanitäre Krise. Wir gehen von 150.000 Flüchtlingen innerhalb des Landes aus, 50.000 im Tschad und 30.000 in Kamerun. Außer diesen Flüchtlingen sind eine Million Menschen, ein Viertel der Gesamtbevölkerung, direkt von der Krise betroffen.

Ist der Grund dafür die bewaffnete Rebellion?

Es gibt tatsächlich eine Rebellion, und es gibt auch organisierte Straßenbanditen. Aber die Unsicherheit hat auch mit den Übergriffen der zentralafrikanischen Regierung zu tun. Wir haben an mehreren Orten erfahren, dass die Regierungstruppen, genauer gesagt Angehörige der Präsidialgarde, Übergriffe auf die schutzlose Bevölkerung begehen. Dörfer werden verbrannt, die wenige Habe der Leute wird gestohlen. Die Menschen sind Misshandlungen aller Art ausgesetzt, und sie sagen, dass man ihnen vorwirft, mit den Rebellen zu sympathisieren.

Was genau haben Sie gesehen?

Wir haben auf der Straße zwischen Bémal und Bossangoa verbrannte Dörfer gesehen. Dort haben wir uns einen Tag lang ohne Militäreskorte bewegen können. Das hat es uns auch ermöglicht, mit den Einheimischen zu sprechen. Sie sind traumatisiert von der Armee und von Straßenbanditen. Sie haben uns gezeigt, wie sie leben, nur 500 Meter von der Straße entfernt. Es ist eine Katastrophe.

Die zentralafrikanischen Behörden werfen dem Sudan vor, die Rebellen zu unterstützen. Sind Sie zu demselben Schluss gekommen?

Es war nicht unser Ziel, das Problem auf dieser Ebene zu behandeln. Wir haben weder das Mandat noch die Mittel, um die Beteiligung des einen oder des anderen Landes an den von uns beobachteten Zuständen festzustellen. Es war eine humanitäre Mission.

Was schlagen Sie also vor?

Die Menschenrechtsverletzungen müssen aufhören, und ihre Urheber müssen identifiziert werden. In einigen Fällen sind sie bekannt. Man muss sie bestrafen. Außerdem müssen wir sowohl mit der Regierung als auch mit den Rebellen Zugang zu der betroffenen Bevölkerung aushandeln. Wir, das UN-System, müssen besser, nachhaltiger und schneller arbeiten – in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sanitäre Systeme, aber auch beim Schutz der Menschen. Wir brauchen dafür mehr Geld [der humanitäre Appell der UNO für die Zentralafrikanische Republik für 2007 beläuft sich auf 50 Millionen Dollar. d. Red]. Und die zentralafrikanische Regierung muss ihre Verantwortung übernehmen. Sie funktioniert heute nicht und nimmt ihre Kompetenzen nicht wahr, aber sie ist die Regierung und damit der höchste Verantwortungsträger des Landes. Sie muss also die schlimme Lage ernst nehmen, und die UNO muss ihr helfen, ihre Aufgaben wahrzunehmen.

Hat die UNO bislang genug getan?

Wir müssen einen höheren Gang einlegen. Zwischen Januar und Oktober 2006 hat sich die Zahl der Flüchtlinge im Land verdreifacht. Hat sich unsere Aktivität verdreifacht? Leider nicht!

INTERVIEW: FRANÇOIS MISSER