ÜBERALL NUR LÄRM UND KURZE HOSEN
: Die Logik der Repetition

VON THOMAS MAUCH

Es war mal wieder der Karneval der Kulturen mit dem Umzug am Sonntag als Herzstück, ein bunter farbenprächtiger Mummenschanz. Halt so wie immer. Und wie immer durfte man sich in den im Fernsehen oder sonstwo dazu gereichten Bildern mit dem vielen Gelb und dem Grün, den kunstvollen Federarrangements und den knapp und körperbetont gehaltenen Kostümen recht brasilianisch fühlen, weil in einem medialen Kniesehnenreflex beim Karneval eben mit verlässlicher Sicherheit bei diesem Schaulaufen der Kulturen stets das Brasilianische herausgepickt wird.

Die entsprechende musikalische Signatur des Karnevals ist dann auch Samba – und nicht etwa Bengalenpop oder gar so eine seltsam tolle koreanische Wimmermusik, bei der noch nicht mal richtig getrommelt wird.

Aber man muss sich halt aufs Wesentliche beschränken. So denken bei den Altherrenmannschaften des Rock ’n’ Roll derzeit ja auch alle an die Rolling Stones, die heute Abend in der Waldbühne der Hitze trotzen werden und vielleicht sogar zur Nacht hin davon singen, dass sie noch immer unbefriedigt seien. Und 20.000 Waldbühnenbesucher und Stones-Fans werden dabei einstimmen.

Nicht ganz so viele haben bei den rockmusikalischen Altherrenteams an Chrome gedacht. Ein gnädig hinter dem Mischpult aufgehängter Vorhang verkleinerte am Sonntagabend bei deren Konzert im Columbiaclub den eh nicht unbedingt riesenhaften Raum auf das passende intime Format. Hier sammelten sich so um die hundert Besucher, die sich eben doch daran erinnert haben, dass man an diesem Abend eine Band beschert bekam, die immerhin in der „100 Records That Set the World on Fire (While No One Was Listening)“-Liste des Avantgardemusikmagazins The Wire notiert steht, und zwar mit „Half Machine Lip Moves“.

Erschienen ist das Album im Jahr 1979. Dementsprechend traf sich am Columbiadamm nicht unbedingt das allerjüngste Publikum, und es wollte sich auch nicht mehr vormachen, hier jetzt einen weltenumstürzenden Abend erleben zu dürfen, für den man sich nun besonders hätte vorbereiten müssen. Allerorten sah man nur casual wear, also wirklich sehr casual. Wetterbedingt auch viele kurze Hosen. Das Höchste an modischer Überlegung war, dass manche doch mit einem T-Shirt mit irgendeinem Bandlogo im Columbiaclub aufliefen.

Die Konzentration galt eben auf das Wesentliche. Einer klemmte sich auch gleich bei Konzertbeginn vor die Bühne und schüttelte vom Start weg und beeindruckend unentwegt seine Langhaarmatte zum Wummern der Musik.

War auch ein grimmiger Packen Lärm. Helios Creed, nach dem Tod von Damon Edge 1995 letztverbliebenes Mastermind von Chrome, machte jedenfalls klar, dass er nicht zum netten Plaudern gekommen war. Kaum mal gab es eine Ansage, selbst auf Zäsuren, in die das Publikum den Applaus hätte hineinzwängen können, wurde verzichtet. Überall nur der Lärm. Schartig, bollernd. Böser, durch die Logik der Repetition getriebener Hardrock. Feedback, Störgeräusche. Ein sachgerecht verwaltetes Arrangement an Lärm, der auch genau das sein wollte: präzise zugeschnittener, die Physis durchrüttelnder Lärm. Und das nicht als blöde Behauptung einer ewigen Juvenilität und auch nicht mit dem Schielen auf einen Legendenstatus, auf den Chrome nicht nur des Wire-Eintrags wegen durchaus pochen dürften.

Es lässt sich vielleicht so zusammenfassen. Helios Creed, 57-jährig, schwitzte wie angestochen über seiner Gitarre. Es war mächtig laut.

Nichts Weltenumstürzendes. Viel Besseres. It’s only Rock ’n’ Roll. Chrome war an diesem Abend der Grund, ihn wirklich zu mögen.