Fragen an Decke, Boden, Fenster

ARCHITEKTUR-BIENNALE Multimedial, flüssig, offen für gesellschaftliche Diskussionen: „Fundamentals“ in Venedig ist eine lebendige Auseinandersetzung mit der Moderne

Im deutschen Pavillon wird eine Puppenstube als Sinnbild von Demokratie und Identität inszeniert

VON RENATA STIH

Diesmal ist die Architektur-Biennale keine rein ästhetisierende Nabelschau der Länder, sondern will Fundamentales der Architektur untersuchen. 65 Länder nehmen an der 14. Ausgabe teil, zehn mehr als letztes Mal. Weil das Interesse des Publikums wächst, wurde die Ausstellungsdauer diesmal von drei auf sechs Monate ausgedehnt; ein ausführliches Rahmenprogramm mit Diskussionen spricht BesucherInnen an, die „Biennale Sessions“ wenden sich an Universitäten und an Architekturfakultäten und damit an die jüngere Generation.

Das Traumgebilde Venedig beweist seine Gegenwärtigkeit, ist nach wie vor Metropole, die über das Museale hinaus als internationaler Treffpunkt fungiert; die Stadt dient sowohl als Labor wie als Medium, sie ist das optimale Podium für die gesellschaftlichen Fragestellungen, die der diesjährige Biennale-Kurator Rem Koolhaas ausgegeben hat, um den Begriff der Moderne unter die Lupe zu nehmen. Kritisch betrachtet er die wachsende Trennung von Architektur und Gesellschaft, die schwindende Kraft der Demokratien und die Macht globaler Konzerne, die auf die Ästhetik wie auf die Struktur urbaner Räume Einfluss nehmen und so ins Private hineinregieren.

Dabei fordert Koolhaas eine Rückbesinnung auf grundlegende Begriffe von Architektur und stellt sie in einer analytisch gestalteten Ausstellung unter dem Titel „Elements of Architecture“ im zentralen Pavillon in den Giardini zur Diskussion. In 18 Räumen wird jeweils ein architektonisches Element befragt, das uns im alltäglichen Umgang selbstverständlich scheint – Eingang, Decke, Boden, Fenster, Toilette, Treppe.

Die Inszenierungen sind multimedial; Pläne, Bilder, Fotos, Dokumente, aber auch Tanz, Theater, Musik werden miteinbezogen. Film als Mittel kollektiver Erinnerung spielt dabei eine zentrale Rolle: Gleich im Eingangsbereich ist ein großer, offener Filmraum eingerichtet, wo mittels einer ineinandergreifenden Abfolge von Filmsequenzen gezeigt wird, wie Handlungen mit und in Architektur ablaufen. Eine subjektive Choreografie menschlicher Bedürfnisse und Emotionen ist in fließenden Szenenabfolgen zusammengestellt, die allein schon die Reise nach Venedig rechtfertigen. Diese facettenreiche Bestandsaufnahme wird von Koolhaas in der Inszenierung „Monditalia“ im Arsenale weiter geführt und von Cino Zucchi, dem Kurator des italienischen Pavillons, auf einzelne Bühnen verteilt.

Durch die Zusammenlegung mit der Tanzbiennale entsteht eine spannende Ausstellungsform, die das Starre durch Bewegung aufbricht. Von der Decke schwebende Membranen setzen Inhalte mit Filmszenen in Bezug; gleichzeitig wir das Podium von Tanzenden bespielt und der Raum körperlich erfahren. Diese Auflockerung findet großen Anklang beim Publikum, das sich instinktiv als Teil der Inszenierung versteht.

Mit dem Thema „Absorbing Modernity 1914–2014“ stellt Rem Koolhaas eine Aufgabe an die Länderpavillons. Sie müssen sich mit der provokanten Behauptung auseinandersetzen, die Moderne habe die identischen, erkennbaren Eigenschaften nationaler Formensprachen verwischt. Das Territoriale wird aufgebrochen, es entsteht ein neue Selbstbetrachtung. Der brasilianische Pavillon ist bemerkenswert: Die These wird aufgestellt, dass die Moderne immer Teil der Identität des Landes war, dass sie bei den Urvölkern vorgedacht wurde und sich auf Oskar Niemeyers organische Moderne auswirkte.

Geschrumpfte Parlamente

Im österreichischen Pavillon wird das „Plenum der Orte der Macht“ mit 196 Parlamenten aus aller Welt untersucht, auf den Maßstab 1:1500 geschrumpft und gleichförmig als weiße Modelle an den Wänden angeordnet. Der slowenische Pavillon im Arsenale wurde vom Kulturzentrum für europäische Raumfahrttechnologie kuratiert und stellt die 1928 formulierten Thesen des slowenischen Ingenieurs Herman Potocnik Noordung, eines Pioniers der Weltraumarchitektur, in den Mittelpunkt. Montenegro präsentiert Bauten der sensationellen jugoslawischen Moderne der Nachkriegszeit, die jetzt vor dem Verfall stehen, während Kroatien den von Rem Koolhaas gesteckten Rahmen von 1914 bis 2014 im Arsenale chronologisch mit 100 Projekten belegt. Japan überrascht im nationalen Archiv-Labor mit scheinbar ungeordneter Materialfülle, während im französischen Pavillon eine selbstkritische, teils pessimistische Technikrückschau geboten wird.

Im deutschen Pavillon wird eine Puppenstube als Sinnbild von Demokratie und Identität inszeniert: „Bungalow Germania“, hübsch mit Vorhängen, Küchenzeile und anderen Versatzstücken ausgestattet, kontrastiert den Bonner Kanzlerbungalow, den Sepp Ruf 1964 bauen ließ, mit Ernst Haigers Pavillon in den Giardini, einem pseudoklassizistischen NS-Bau. Ein Mercedes („Staatslimousine von Kanzler Kohl“) steht davor, angedockt an einen roten Teppich. Repräsentiert das die bescheidene Bonner Republik? Warum steht nicht stattdessen die Skulptur von Henry Moore dort, ein Sinnbild für Moderne und die neue Bundesrepublik, die in Bonn vor dem echten Bungalow steht? Damit würde auch ein direkter Bezug zum englischen Nachbarpavillon entstehen. Diese biedere Kulturonanie ist für Außenstehende nicht verständlich.

Der Goldene Löwe wurde diesmal an die Initiatorin des Canadian Center for Architecture in Montreal, die Philanthropin Phyllis Lambert, verliehen für ihr lebenslanges Engagement für die Förderung der modernen Architektur.

■ „Fundamentals“: bis zum 23. November