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Archiv-Artikel

Habe nun … etwa Geld?

Bildungsministerin Annette Schavan will im nächsten Jahr die Geisteswissenschaften besonders fördern. Prima Idee! Aber was wird dann aus dem Image der ewig leidenden, armen Prekären?

VON MARTIN REICHERT

„Lassen Sie mich durch, ich bin Historiker!“ Na ja, so dringend kann es ja wohl nicht sein, oder? Ärzte werden immer gebraucht, und der deutschen Wirtschaft mangelt es vor allem an Ingenieuren. Nur die Geisteswissenschaftler werden – wie immer – nicht gebraucht, weshalb Bildungsministerin Annette Schavan mit großem Getöse 2007 zum „Jahr der Geisteswissenschaften“ erklärt hat. Ganz so, als ob es sich dabei um aussterbende Orchideen handelte.

Stetig ringt der selbsternannte deutsche „Geistesadel“ mit den utilitaristischen Kräften des Marktes. Lautete der Oberbegriff für arbeitslose Arbeiter des Geistes früher Taxifahrer, hat sich nun der Begriff „Prekariat“ eingebürgert. Neu ist dieses Phänomen jedoch nicht: Konnte man sich vor der Hochschulreform noch aussuchen, ob man nach dem Studium der Philosophie Rundfunkintendant oder doch lieber Regierungspräsident wurde, so setzte bereits in den 80er-Jahren der Run auf die Taxistände ein.

Doch während diese dereinst bohemistisch verklärten mobilen Arbeitsstätten mit Stern auf der Haube – Mercedes fahren, ohne ihn sich leisten zu können – heute zumeist von Migranten eingenommen werden, hat das „akademische Lumpenproletariat“ von heute anderes im Sinn: Man macht „was mit Medien“, reiht sich ein in die „digitale Boheme“ mit einem von Mutti finanzierten weißen Apple-Rechner und hofft auf den Durchbruch oder das elterliche Erbe.

Die Hauptstadt dieser Bewegung ist Berlin, denn dort kann man sich einen solchen Lebensstil am ehesten leisten. Wer diese Menschen – Romanisten, Historiker, Linguisten, Ägyptologen – näher kennenlernen möchte, muss nur eine beliebige Hotline eines Callcenters anrufen, Geisteswissenschaftler helfen Ihnen gerne weiter. Zwar ist die Arbeitslosenquote unter Akademikern nach wie vor halb so hoch wie unter Nichtstudierten, die Geisteswissenschaftler haben jedoch weitaus größere Schwierigkeiten, einen adäquaten Job zu bekommen.

Das deutsche Bildungsbürgertum, stets eingeklemmt zwischen Abstiegsängsten und dem Zwang, sich gegenüber der ökonomischen Überlegenheit der technokratischen Milieus rechtfertigen und behaupten zu müssen, lässt sich jedoch bei ausgedehnten, grüblerischen Uferspaziergängen meistens etwas einfallen – zum Beispiel ein „Jahr der Geisteswissenschaften“ oder die schöne Mär, dass es der Industrie eigentlich nach geistigem Input dürste, den BWLer nun einmal nicht liefern könnten. Bei einigen pfiffigen Ethnologen oder Germanisten klappt das auch: Ein paar wirtschaftswissenschaftliche Prunk- und Blendbegriffe gelernt und auf dem Flipchart mit soziologischem Content kombiniert – schon steht der blankpolierte A 6 vor der Tür: Consultancy nennt man das. Wer nicht gebraucht wird, muss sich eben unentbehrlich machen.

Dazu gehört auch die Behauptung, dass ohne Geisteswissenschaften das Abendland in Bälde unterginge, schließlich wurde ihre Zukunft eigentlich von Anbeginn in Frage gestellt. Wilhelm Dilthey etablierte den Begriff 1883 mit seinem Werk „Einleitung in die Geisteswissenschaften“, die er als Auftrag, den Zusammenhang zwischen „Leben, Ausdruck und Verstehen“ zu untersuchen, verstand, verbunden mit dem übergeordneten Anspruch, den Einzelnen kraft des objektiven Geistes in übergeordnete Zusammenhänge zusammenzubinden – etwa der Nation.

Im Jahr 2006 hingegen mahnt die Kanzlerin des Landes, gelernte Physikern, den Nachwuchs, doch bitte Ingenieur zu werden oder sich für technische Fachberufe zu interessieren, weil es sonst bergab ginge mit dem ganzen Land. Im Gegenzug hält Annette Schavan den schwächelnden Hochschuldisziplinen mit Hilfe ihres „Jahres der Geisteswissenschaften“ die Sauerstoffmaske unter die Nase: mit rund 64 Millionen Euro, die das Forschungsministerium bis 2009 den Hochschulen zur Verfügung stellen will. Künftig sollen besondere internationale Kollegs geschaffen und den Wissenschaftlern soll Raum für eigene Forschung und Begegnung mit anderen Wissenschaftlern gegeben werden.

So ganz ohne sie wäre es dann doch unheimlich, schließlich wollen Ingenieurskinder später mal schöngeistig beschult werden – und sind die elaborierten Ausführungen der Historiker und Germanisten nicht auch ganz amüsant, wenn man sich zur Vernissage trifft? Annette Schavan möchte diese „Two Cultures“ der Geistes- und Naturwissenschaften zur stärkeren Kooperation bewegen – eine Tendenz, die sich im angelsächsischen Kulturkreis schon lange abzeichnet.