: In Tschads Hauptstadt regiert die Angst
Im Osten Tschads eskalieren Kämpfe zwischen Regierung und Rebellen. Die Hauptstadt N’Djamena richtet sich auf Krieg ein. In einem Klima der Gerüchte horten die Leute Lebensmittel und Waffen und gehen aus Angst abends nicht mehr aus dem Haus
AUS N’DJAMENA PETER BÖHM
Tschads Hauptstadt N’Djamena ist eine Stadt im Ausnahmezustand. Auch wenn am Tage die Straßen belebt und die Verkaufsstände, Läden und Restaurants voll sind, schwirren in der Stadt die Gerüchte umher über die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen im Osten des Landes. „Viele Menschen hier haben so eine Art Psychose“, sagt Delphine Djiraibé, Vorsitzende der zivilgesellschaftlichen Plattform „Initiative Frieden und Verständigung“ und prominenteste Menschenrechtlerin. „Sie verlassen kaum noch das Haus, weil sie Angst haben vor den Militärs.“
Das ist abends in den Vorstadtvierteln zu sehen. Dort, wo früher Cafés und Bierbars voll waren, sind die Straßen wie ausgestorben, haben sich die Bewohner in ihren Häusern verbarrikadiert. „Schon im April, als die Rebellen vor N’Djamena standen, hat jeder, der es sich leisten konnte, Hamsterkäufe gemacht“, erzählt Moussa Peul, ein Markthändler. „Seit den ersten Berichten über neue Kämpfe im Osten gab es eine zweite Welle. Die meisten haben einen Vorrat von Sorghum und Trockenfisch angelegt, damit sie eine Weile durchhalten können.“
Die Regierung verhängte im November für sechs Monate den Ausnahmezustand. Damit übergab sie Polizeiaufgaben der Armee und unterwarf die Medien der Zensur. Die letzten Ausgaben der unabhängigen Zeitungen sind mit dicken schwarzen Balken erschienen. Deshalb haben sie in der vergangenen Woche zusammen mit einigen privaten Radiostationen einen zweiwöchigen Streik erklärt. „In einem solchen Umfeld“, sagt Jean-Claude Nekim, Chefredakteur der unabhängigen Wochenzeitung N’Djaména Hebdo, „können Journalisten nicht arbeiten.“
Nach einem UN-Bericht kommen im Tschad auf jeden der sechs Millionen Einwohner zwei Handfeuerwaffen. „Es gibt hartnäckige Gerüchte, dass die Regierung heimlich Zivilisten in der Hauptstadt bewaffnet“, sagt die Menschenrechtlerin Djiraibé. „Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Regierung Waffen an Zaghawas verteilt“, sagt ein europäischer Diplomat in N’Djamena. Zur Ethnie der Zaghawas gehören sowohl Tschads Präsident Idriss Déby als auch zwei Anführer der drei wichtigsten Rebellengruppen des Landes. „Dahinter steht die Angst, dass, sollten die Rebellen bis in die Hauptstadt kommen und sollte ein Machtvakuum entstehen, die Zaghawas zur Zielscheibe des Volkszornes werden könnten.“ Viele Zaghawas, sagt der Diplomat, hätten Frauen und Kinder bereits in Hotels im nahen Kamerun in Sicherheit gebracht.
Verlässliche Angaben über das Ausmaß der Kämpfe sind in N’Djamena kaum zu bekommen. Präsident Idriss Déby flog am Montag selbst nach Abéché, der größten Stadt im Osten des Landes. „Das kann doch nur ein Zeichen dafür sein, dass die Lage ernst ist“, meint Chefredakteur Nekim. „Wir bekommen Berichte, dass hochrangige Generale geflohen sein sollen.“ Der Diplomat meint trocken: „Déby fährt dahin und zieht sich seine Uniform an. Dann ist er in seinem Element.“