: Vitaminspritze für leidende NRW-Sozis
Für die Politik hat sich Hannelore Kraft spät entschieden: Erst 1994, mit 33 Jahren, trat die Bankkauffrau, Diplom-Ökonomin und Unternehmensberaterin in die SPD ein. Jetzt soll die amtierende Fraktionschefin der Sozialdemokraten im Düsseldorfer Landtag auch den größten Landesverband der Partei führen: Auf einem Sonderparteitag der nordrhein-westfälischen SPD im März will Kraft für die Nachfolge des blassen bisherigen Landesvorsitzenden Jochen Dieckmann kandidieren.
Die 45-Jährige wird damit gleichzeitig zur Herausforderin von Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers – mit einer Gegenkandidatur rechnet Kraft nicht. Sie wolle zeigen, dass „Rüttgers’ Sonntagsreden mit seiner Regierungspolitik wenig zu tun haben“, sagte die Oppositionsführerin gestern. Schon bisher hat Kraft versucht, die SPD im größten Bundesland als die linkere Volkspartei zu positionieren und so den Kurs des selbst ernannten Arbeiterführers Rüttgers auszuhebeln: Vorsichtig verabschiedet sich die Tochter eines Straßenbahnfahrers vom Traum der Vollbeschäftigung und plädiert für einen dritten Arbeitsmarkt.
Auch die von Rüttgers’ SPD-Vorgängern Wolfgang Clement und Peer Steinbrück gefürchtete Gesamtschuldebatte hat Kraft wieder auf die Agenda gesetzt. Statt vorzeitiger Auswahl soll sich die NRW-SPD wieder zu einer Schule für alle bekennen. Noch gemeinsam mit Dieckmann wurde Kraft auch bei der Unternehmensteuerreform aktiv: Angesichts Mehrwertsteuererhöhung und gestrichener Pendlerpauschale sei der NRW-Basis eine weitere Entlastung der Unternehmen nicht zu vermitteln, teilte sie SPD-Bundesparteichef Kurt Beck mit – und der schwenkte angesichts mangelnder Mehrheiten im Parteirat prompt um.
Eine „Riesenaufgabe“ sei die Herausforderung Rüttgers’, sagt Kraft selbst. Die Unterstützung von SPD-Landesvorstand und der Landtagsfraktion ist der Mutter eines 13-jährigen Sohns sicher. Gefährlicher könnte Kraft ihr Hang zu starken Sprüchen werden: Die von der CDU-geführten Landesregierung beschlossenen Studiengebühren etwa lehnt sie ab – dabei hatte Kraft als NRW-Wissenschaftsministerin selbst als erste Studiengebühren für so genannte Langzeitstudenten eingeführt. Als Studentin habe sie im London von Maggie Thatcher „Leute auf der Straße verhungern sehen“, sagte Kraft im taz-Interview. Mit CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie sie Späteinsteigerin in der Politik, habe sie sich nie verglichen – und stilisiert sich doch wie Merkel zur Integrationsfigur: „Aufgrund meiner Biografie kann ich darstellen, dass es in der SPD keine Schubladen mehr gibt.“ ANDREAS WYPUTTA