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Archiv-Artikel

Auf dem Trockenen

AUSSTELLUNG Damit sich die Erinnerung an vergangene Königshaus-Größe nicht ausschließlich in Kutschen erschöpft, gibt es in Hannover auch junge Kunst aus London zu sehen

Merkwürdige Reste im Inneren – bräunliche Pfützen und milchig graues Gekröse – oder Flecken erinnern an den Makel persönlichen Gebrauchs

VON BETTINA MARIA BROSOWSKY

Dieser Begriff ist im Englischen mehrdeutiger als im Deutschen: Pool. Neben der eher abstrakten Bedeutung eines interessengeleiteten Zusammenschlusses meint er da das Schwimmbecken oder gleich die gesamte Badeanstalt – mitsamt allen Assoziationen (Wasser, kristallklar, erfrischend). Aber gemeint sein kann eben auch der Tümpel, die brackige Brühe mit Dreck, Insekten und allerlei Undurchdringlichem darin.

Frisch und humorvoll

„Pool“ ist derzeit eine Gruppenausstellung in der Kestner Gesellschaft Hannover betitelt. Zusammengestellt von Antonia Lotz und Heinrich Dietz, vereint sie Arbeiten von fünf jungen Künstlern aus London. Deren Biografien überschneiden sich, alle fünf sind zwischen 1977 und 1987 geboren. Neben drei Briten sind es ein Franzose und eine Niederländerin, allein: Nationale Zuordnungen werden angesichts globalisierter Kunstproduktion zusehends obsolet.

Anlass der London-Schau sind die hannöverschen Feierlichkeiten zum 300. Jubiläum der Personalunion zwischen dem englischen Königshaus und dem der Welfen. Zwischen all der damit einhergehenden Kronen- und Kutschenseligkeit zeigt sich „Pool“ tatsächlich frisch – und durchgängig von einem Hauch britischen Humors durchweht.

Gleich im ersten Raum des Erdgeschosses nimmt der Engländer Aaron Angell die eigene Branche auf die Schippe. So gehört es mittlerweile unter jungen Künstlern zum guten Ton, einen „project space“ zu unterhalten, in dem sich gern auch Kollegen präsentieren dürfen. Angells Hannoveraner „Gallery Peacetime“ nun ist ein mittelgroßes Aquarium, in dem Angell wechselnde Unterwasser-Installationen von drei seiner Freunde en miniature aufbaut. Stumm und etwas dösig schwimmen dazwischen drei Axolotl-Molche – zwei Albinos, ein schwarzer und alle übrigens aus Hannover.

Überhaupt das Modrige: Im Obergeschoss zeigt Angell in einem weiteren Raum amorphe Keramiken, darunter unzählige Varianten von Kerzenhaltern, gemacht aus Dreck – oder Scheiße, wie er selbst es ausdrückt.

Genau entgegengesetzt arbeitet die Niederländerin Magali Reus: mit klinischen, per Laser geschnittenen Metallen und präzisen Fügungen. Ihre großen, offenen Kästen erinnern an entleerte Kühlschränke. Zumal merkwürdige Reste im Inneren – bräunliche Pfützen und milchig graues Gekröse – oder auch Flecken auf dem Äußeren an den Makel persönlicher Gebrauchsverfehlungen erinnern. In einem Video präsentiert Reus dazu einen durchtrainierten, nackten jungen Mann unter der Dusche. Ein endloser Wasserstrom in Zeitlupe inszeniert seine Konturen – verleiht ihnen aber auch etwas sehr Unnatürliches.

Im selben Raum sind an drei Wänden die großformatigen Nicolas Deshayes’ zu sehen. Der Franzose arbeitet sich an einer aufwendigen Technik ab, dem industrialisierten Schmelzverfahren, und lässt große Fotos von Passanten im öffentlichen Raum per Siebdruck auf seine Tafeln aufbringen. Die Gezeigten sind anonymisiert, abgebildet wird jeweils nur der Torso. Die makellosen Emaillierungen übersät Deshayes an den Rändern ganz bewusst mit Bearbeitungsspuren: Flecken, Spritzer oder Spachtelschlieren. Aus den harten, homogenen und widerstandsfesten Oberflächen, wie sie einem täglich etwa in Beschilderungen begegnen, fördert Deshayes die Prozesshaftigkeit ihrer komplizierten Herstellung zutage: aus ineinanderfließenden, für sich genommen empfindlichen Komponenten.

Bleiben noch die beiden Britinnen Alice Channer und Cally Spooner: Erstere durchmisst die große Halle im Obergeschoss mit einer langen Textilbahn, bedruckt mit dem metallischen Spiralschlauch einer Duschgarnitur. Dazu stellt sie weitere Objekte, etwa aus hochglanzpoliertem Marmor, spiegelndem Metall oder Abgüsse in vernickeltem Aluminium sowie schmales, gefaltetes Textil. Alles changiert zwischen Fläche und fließender Körperlichkeit – man mag darin eine Allegorie für das hier ja fehlende Wasser eines Pools sehen. Spooner fokussiert sich derweil auf eine Audio-Arbeit: Sie dramatisiert die erzwungene öffentliche Meinungsänderung eines britischen Ministers, seinen verbalen U-Turn, zu einem Sechs-Minuten-Loop.

Ausstellung im Bade

Dieser Pool junger Kunst aus London kommt erfreulich handwerklich daher, verzichtet auf die ermüdende Überfülle von Digitalem oder Video. Der Ausstellungsort ist übrigens der trockengelegte Damenschwimmbereich des ehemaligen Goseriede-Bads. Die uninspirierte Flächenmaximierung im Dienste der Kunstpräsentation hat leider jegliches Flair der ehemals zweigeschossig-luftigen Halle getilgt. Insofern hält der Begriff Pool hier noch eine weitere Konnotation bereit – eine zutiefst hannoversch biedere allerdings.

„Pool – Kunst aus London“: bis 6. Juli, Hannover, Kestner Gesellschaft