: Der Advents-Ballermann
Im Marktsegment der sinnfreien Kinderbeschallung ist er einer der ganz Großen. Nun hat Volker Rosin eine Weihnachts-CD herausgebracht und löst damit in NRW verschärften „Tanzalarm“ aus
VON LUTZ DEBUS
Der selbst ernannte „König der Kinderdisco“ eröffnet sein Konzert in dem kleinen, nördlich von Köln gelegenen Städtchen Dormagen wie ein echter Popstar. „Seid Ihr gut drauf?“, ruft er in die Schulaula aus den 1950er Jahren. Gut 600 Stimmen und Stimmchen antworten unisono: „Ja!“ Dann vergewissert sich der Düsseldorfer Sänger, ob alle ihre Hände dabei haben zum Klatschen und ihre Münder zum Singen. Wieder ertönt zwei Mal ein lautes „Ja!“. Mit einem Knopfdruck auf das Wiedergabegerät beginnt Rosin mit seiner gut geölten Performance.
Etwa drei Viertel seiner Lieder wird er nicht mit seiner Gitarre begleiten, sondern mit einer am Computer zusammen gebastelten Tonspur untermalen lassen. Der Gesang zumindest, das lässt er sich auch vom CD-Player nicht nehmen, ist echt und live. Gleich der erste Titel lässt die Zwei- bis Zweiundsiebzigjährigen aufspringen und durch die Gegend hopsen. Wenn die festgeschraubten Klappsessel nicht für etwas Struktur gesorgt hätten, wäre es sofort zu tumultartigen Szenen gekommen. Den Sommerhit des Jahres 1999 „Mambo Nr. 5“ hat Volker Rosin weihnachtlich umgetextet. Die Kühe machen Muh und die Schäfchen machen Mäh und alle Kinder kreischen mit, machen Muh und machen Mäh. Spätestens hier wird deutlich, dass Rosins Lieder fester Bestandteil der Kinderbetreuungsangebote deutscher Reiseveranstalter sind. Wer einen Cluburlaub macht, kann seine Kinder tagsüber abgeben und abends beim Vortanzen in der Minishow bewundern. So hat man auch hier in Dormagen den Eindruck, als feiere man die Adventszeit auf Mallorca im Ballermann. Mehr Spektakel als Spekulatius.
Aber manchmal schafft es Rosin dann doch Kinderliedermacher zu sein. Dann greift er zur Gitarre und lässt ein Kind aus dem Publikum mitsingen. Die 12-jährige Johanna versucht sich mit ängstlich-hochgezogenen Schultern als vokale Begleiterin, singt vom Stern, vom kleinen Kind in der Krippe. Rosins Frage, um welches Kind es sich da handele, kann Johanna vor Lampenfieber nicht sagen. Erst die Vorsager aus dem Publikum helfen ihr aus der Patsche. Zur Belohnung gibt es für das mutige Mädchen einen Button mit der Aufschrift: „Ich habe mit Volker Rosin gesungen!“
Nach einer eher kirchentagstauglichen Nummer mit wiegenden Armen wird es dann sehr zackig. Die Melodie meint man von im Laufschritt vorbei ziehenden amerikanischen Soldaten gehört zu haben. Der Text aber stammt aus Volker Rosins Feder: „Heo Weihnachtsmann, schlepp mal die Geschenke an!“ Gerade die etwas älteren Kids sind begeistert. Manche Eltern gucken etwas verstört. Da greift der gelernte Erzieher und Sozialpädagoge Rosin erklärend ein: „Ihr könnt dieses freche Lied ja zu Hause mit euren Kindern aufarbeiten.“
Unvermeidlich muss der Sänger dann den Titelsong seiner anderen aktuellen CD vorstellen – obwohl dieser Titel, das gibt der Werbende unumwunden zu, nichts mit Weihnachten zu tun hat. „Flitze Flattermann“ ist ein durchgeknallter Gockel im Superman-Dress. Dem 50-jährigen Rosin rinnt der Schweiß von der Stirn. Alle möglichen Verrenkungen tanzt er auf der Bühne vor. Als krönenden Abschluss mimt er John Travolta, reckt seinen Arm wie beim legendären Kinoplakat von „Saturday Night Fever“ in die Luft. Spätestens jetzt hat er die Herzen aller Mütter erobert.
Die Väter wiederum überzeugt er mit dem rockigsten seiner Adventslieder „Der Weihnachtsmann auf dem Motorrad“. Mit ein bisschen Fantasie kann man bei dieser Nummer Dennis Hopper und Peter Fonda als „Easy Rider“ mit roten Mänteln auf ihren Maschinen sitzen sehen. In der dritten Reihe wedelt tatsächlich ein Pärchen in Lederkluft mit ihren langen Haaren zu dem Rocktitel. Die etwa 3-jährige Tochter sitzt staunend daneben. Und sogar der aufblasbare riesige Schneemann auf der Bühne kommt ein bischen in Schwingung.
Nach 45 Minuten ist der offizielle Teil des Konzertes vorbei. Vor dem Abschiedslied erklärt Rosin, dass er gern, wenn genug geklatscht wird, die eine oder andere Zugabe geben werde. Das Versprechen hält er ein und löst den „Tanzalarm“ aus. Diese musikalischen Fitness-Übung im Befehlston, bekannt durch entsprechende Videoclips vom öffentlich-rechtlichen Kindersender KIKA, erzeugt beim Publikum euphorische Gefühlsausbrüche. Manch ältere Dame steht halsbrecherisch, die Arme wild um sich schwingend, auf dem wackligen Klappsessel.
Nach dem Konzert drängeln sich die Eltern vor dem Verkaufsstand, wollen eine handsignierte CD oder DVD ergattern. Rosin lässt sich mit den treuen kleinen Fans von den Vätern mit ihren Fotohandys ablichten. Durch den Ausgang quillen durchgeschwitzte Rheinländer in den lauwarmen Dezembernachmittag. „24 Türchen“ ist mit all den mediteranen Klängen das passende Konzert zur klimawandelnden Zeit. Die weiße Weihnacht wird zum aufblasbaren Erlebnis für die ganze Familie.