: Wohlbefinden auf Türkisch
Die Gruppe der aus der Türkei stammenden SeniorInnen wächst – und stellt die Altenpflege vor besondere Herausforderungen. Am Wochenende eröffnet in Kreuzberg das erste türkische Altenheim
Von Alke Wierth
Ein schmucklos-funktioneller weißer 50er-Jahre-Bau hinter hohen Gitterzäunen, davor eine ebenso schmucklose Brachfläche. Sehr gemütlich wirkt das „Türk Huzur Evi“ am Rande des Viktoriaparks von außen nicht. Dass es sich bei dem neueröffneten Altenheim um eines speziell für aus der Türkei stammende SeniorInnen handelt, erschließt sich auch innen erst auf den zweiten Blick: durch die Fotos an den Wänden, die berühmte Moscheen oder vor dem Atatürk-Mausoleum marschierende türkische Soldaten in Paradeuniform zeigen. Oder durch die zweisprachigen Beschriftungen, die zur Teeküche oder ins Krankenzimmer führen.
Das freundliche Personal besteht überwiegend aus ÄrztInnen und PflegerInnen, die aus der Türkei stammen. Zweisprachige, kultursensible Pflege – das will das Türk Huzur Evi, zu Deutsch ungefähr „Haus des türkischen Wohlbehagens“, bieten. Das erste türkische Altenheim, eine Einrichtung, die der private Pflegeheimbetreiber Marseille Kliniken AG in Zusammenarbeit mit der Türkischen Gemeinde Berlin (TGB) aufgebaut hat, bietet Platz für 155 Bewohner – Deutsche sind ausdrücklich nicht erwünscht. Zum Konzept des Hauses gehört dabei, dass kulturell oder religiös begründete Besonderheiten der BewohnerInnen berücksichtigt werden. Das heißt: Das Essen entspricht den Vorschriften des Korans, es gibt einen Gebetsraum, und Intimpflege wird nur durch Pflegepersonen gleichen Geschlechts vorgenommen.
25.000 türkische MigrantInnen über 55 Jahre lebten laut Statistik 2005 in Berlin. Die Vorstellung, dass die Mehrzahl von ihnen entweder in die frühere Heimat zurückkehren oder im Alter von Angehörigen versorgt würde, hat sich längst als falsch erwiesen. Zwar ist die Zahl türkischer RentnerInnen, die zwischen alter und neuer Heimat pendeln, hoch. Doch oft erzwingt ein schlechter Gesundheitszustand irgendwann die Entscheidung für einen Wohnort. Dass der dann häufig in Deutschland und nicht in der Türkei gesucht wird, ist nicht nur der vergleichsweise besseren Gesundheitsversorgung hier zu verdanken. Wer den längsten Teil seines Lebens in Deutschland verbracht hat, hat meist nicht nur Kinder und Familie hier, sondern häufig auch kein soziales Netzwerk mehr in der früheren Heimat.
Die Entscheidung für ein deutsches Pflegeheim fällt vielen der SeniorInnen dennoch schwer. Das liegt oftmals am Mangel an Deutschkenntnissen der älteren Generation, die zu Isolation führt. Aber auch an der Befürchtung, dass religiöse Vorschriften oder kulturelle Gebräuche von deutschen PflegerInnen nicht berücksichtigt würden.
Private Pflegedienste, die sich auf diese speziellen Bedürfnisse bestimmter Migrantengruppen eingestellt haben, gibt es in Berlin bereits seit Jahren. Und nun eben das erste Altenheim: 5 Millionen Euro hat die Marseille Kliniken AG in das Türk Huzur Evi investiert. Eine Luxusresidenz ist das „Haus des Wohlbehagens“ nicht: „Bezahlbar“ sollen die Pflegeplätze nach Firmenauskunft sein. Denn die Renten der meisten zugewanderten Arbeitskräfte sind eher niedrig. Werde das Haus gut angenommen, so teilt die Betreiber-AG mit, werde sie weitere auch „auf andere Ethnien spezialisierte“ Pflegeeinrichtungen eröffnen.
Auf ungeteilte Zustimmung stößt das Konzept bei Experten nicht. „Es ist nicht verkehrt“, lobt zwar die Sozialpädagogin und Gerontologin Filiz Müller-Lenhartz, die in Kreuzberg interkulturelle Arbeit mit SeniorInnen macht. Denn Einrichtungen wie das Türk Huzur Evi erhöhten den Druck auf andere Pflegeanbieter, sich um die wachsende Kundengruppe zugewanderter SeniorInnen zu bemühen. „Ideal wäre aber meines Erachtens eine Art Wohngruppenmodell“, sagt Müller-Lenhartz. Dort könnten SeniorInnen sich einerseits unter Menschen gleicher Herkunft zurückziehen. „Es könnten aber trotzdem im Haus Begegnungen mit Menschen anderer Herkunft stattfinden, indem beispielsweise gemeinsame Freizeitaktivitäten angeboten werden“, so Müller-Lenhartz.