: Zur Weihnachtszeit Besinnlichkeit
Advent ist, wenn der Pfarrer schreit:Besinnlichkeit! Besinnlichkeit!
Nur weiß, ob Heide oder Christ, Der Mensch oft gar nicht, was das ist.
Ist Besinnlichkeit beschieden, Dem, der stille hält, und Frieden?
Soll man wirklich all sein Denken In Kontemplation versenken?
Draußen weihnachtsmarkten alle, Strampeln in der Kaufrauschfalle,
Machen nichts als Remmidemmi, Lauter als Motörheads Lemmie,
Stopfen sich mit Formfleisch-Häppchen Voll und jagen geizgeil Schnäppchen,
Gieren auf den schnellen Fitsch. – Dazu flimmert Weihnachtskitsch.
Pubertäter laufen Amok, Spielen niemals Béla Bartók,
Statt wie früher Schach und Mühle, Spielen sie jetzt Kopf-ab!-Spiele.
Ach, die Welt ist ungeheuer Ähnlich doch dem Fegefeuer.
Kann Besinnlichkeit uns lehren Sich der Hölle zu erwehren?
Worauf soll man sich besinnen? Matchboxautos? Regenrinnen?
Soll man grübeln, was vergebens Ist, und was der Sinn des Lebens?
Nützt es, wenn ich mir befehle: Mensch, sei edel in der Seele?
Soll ich geistlich mich erbauen? Oder mich im Wirtshaus hauen?
Fäuste hoch, Gebrüll und Streit. Ist das noch Besinnlichkeit?
Eines gilt von Kiel bis Zandvoort: Wer viel fragt, der kriegt viel Antwort.
So ist schnell und gar nicht bange Eine Klopperei im Gange.
Augen schwellen, Knochen bersten Nasen bluten. – Kerl, was zerrst’en
An mir rum? Ich wämms dir eine! Mach dich weg! Lass mich alleine.
Denn sonst haue ich dir munter Ganz besinnlich eine runter.
So, nun reicht es, Zeit zu gehen. Alle, die längst nicht mehr stehen
Können, haben einen sitzen. Grinsen breit wie die Haubitzen
Äußern in Rührseelenliedern Ihren Wunsch, sich zu verbrüdern.
Wollen, nach den Prügelein Freund und Mitmensch wieder sein.
Dialektik, frei nach Hegel: Steigen muss zunächst der Pegel.
Das Niveau indes darf sinken. Dafür sorgt das Wirkungstrinken.
Und an diese guten, alten Regeln soll der Mensch sich halten.
Auch der Gastwirt wird sie loben Denn der Umsatz ging nach oben.
Aller Lärm löst sich ganz friedlich Auf, die Sache wird gemütlich,
Froh entballt sind alle Hände, Sinken abwärts, und am Ende
Herrscht Besinnlichkeit, herrscht Ruhe, Wie in Gottes Wäschetruhe.
Wiglaf Droste