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Archiv-Artikel

Bammel vorm Kreml

Die russische Journalistin Elena Tregubowa hat ihre Lesereise nach Deutschland kurzfristig abgesagt und hält sich versteckt – „aus Sicherheitsgründen“. Die Regierungskritikerin fürchtet um ihr Leben

VON BARBARA OERTEL

Eigentlich hätte die Moskauer Journalistin Elena Tregubowa am vergangenen Dienstag nach Deutschland reisen sollen, um in mehreren Städten ihr Buch „Die Mutanten des Kreml“ vorzustellen. Doch aus den Veranstaltungen wird nichts. In einer E-Mail an den Tropen Verlag, der ihr Buch herausgegeben hat, teilt die Journalistin mit, dass sie sich versteckt halte und „aus Sicherheitsgründen“ nicht nach Deutschland kommen könne. Auf Nachfragen per Mail oder Telefon werde sie nicht reagieren.

Auch wenn über die Gründe der Absage derzeit nur spekuliert werden kann – fest steht: Spätestens seit dem Erscheinen ihres Buchs 2003, das in Russland schnell zum Bestseller avancierte, lebt die 33-Jährige gefährlich. In „Die Mutanten des Kreml“ rechnet Tregubowa, die fünf Jahre als Kreml-Reporterin für die Moskauer Tageszeitung Kommersant gearbeitet hat, mit dem System Putin ab. Präzise analysiert sie die Machtergreifung des russischen Staatspräsidenten sowie die Psychologie der russischen Staatsmacht und beleuchtet die Verbindungen zwischen Kreml und Oligarchen. Sie schildert ihr Leben als Journalistin und ihren Kampf für die Pressefreiheit, die in Russland nur noch auf dem Papier existiert.

Ihr Mitteilungsbedürfnis bezahlte die Journalistin mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes. Der Chefredakteur des Kommersant feuerte sie – nach einem Anruf aus dem Kreml. Im Februar 2004 entging Tregubowa nur knapp einem Anschlag. Vor ihrem Haus explodierte eine Bombe, als sie im Begriff war, ihre Wohnung zu verlassen. Wie in solchen Fällen üblich, wertete die Moskauer Miliz den Anschlag als „schweres Rowdytum“ und erklärte, es gebe keinen Anlass, an eine politisch motivierte Tat zu glauben.

Doch selbst von dieser überaus deutlichen Warnung ließ sich Tregubowa nicht einschüchtern. In der Folgezeit zog sie weiter gegen das „autoritäre Regime mit gleichgeschalteter Presse“ zu Felde und kritisierte die westlichen Politiker, denen die Zustände in Russland mittlerweile offensichtlich egal seien.

Aus Anlass der Ermordung ihrer Moskauer Kollegin, der Journalistin Anna Politkowskaja, schrieb Elena Tregubowa einen offenen Brief an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, den die Wochenzeitung Die Zeit am 12. Oktober 2006 veröffentlichte. Darin heißt es: „Glauben Sie wirklich, Frau Merkel, dass das russische Gas oder das russische Erdöl eine ausreichende Bezahlung dafür sind, dass man die Augen vor der physischen Vernichtung der Opposition und der freien Presse in Russland verschließt? Schweigen bedeutet in dieser Situation Mittäterschaft.“

Christine Marth, Mitarbeiterin des Tropen Verlags, ist verunsichert und hofft auf eine baldige Nachricht von Tregubowa. „Wir tappen derzeit völlig im Dunkeln“, sagt sie. „Doch im Moment bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten.“