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Archiv-Artikel

Richtungsänderung

WACH GEKÜSST Die Rostocker Kunsthalle erhofft sich von der dreiteiligen Ausstellungsreihe „Portfolio Berlin 01“ neue Impulse. Auf Malerei werden Skulptur und Fotografie folgen

Die Rostocker Kunsthalle geriet in den 1990er Jahren zunehmend ins Abseits. Dabei ist sie der einzige Museumsneubau der DDR

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Filigrane, grau-schwarz schillernde Bänder ziehen sich von der Decke bis zum Boden und machen auf sich aufmerksam. Beim Vorbeigehen bewegt sich der schimmernde Behang sanft und lässt Licht aus dem dahinter liegenden Raum hindurchscheinen. So faszinierend der Bändervorhang auch ist, er versperrt den gewohnten Zugang zu den Ausstellungsräumen der Rostocker Kunsthalle und lässt den Rundgang auf der anderen Seite beginnen. Vielleicht ist genau diese Richtungsänderung die passende Ouvertüre für eine Ausstellung, die neues Licht auf eine alte Institution werfen soll.

Die anmutige Bandmontage besteht aus Videobändern, die Gregor Hildebrandt als installativen Raumteiler arrangiert hat. Mit diesem Wissen erhält das Werk die charmant-nostalgische Note unzeitgemäßer Datenträger und macht neugierig, welche Filme sich auf den Bändern wohl befanden. Der „Videovorhang“ ist eine der Arbeiten von acht jungen Berliner Künstlern, die jetzt in Rostock gezeigt werden.

Anders als in Berlin, wo sich nach dem Mauerfall ein einmaliger Aufschwung zum Zentrum zeitgenössischer Kunst ereignete, geriet die Rostocker Kunsthalle in den 1990er Jahren zunehmend ins Abseits. An der Institution, die einst als ein „Tor zur Welt“ errichtet wurde, ging das Interesse von Politik und Öffentlichkeit verloren. Dabei bildet das Gebäude den einzigen Museumsneubau der DDR. Seine Bauweise im Stil der 1960er-Jahre-Moderne verleiht der Halle noch heute eine besondere Ausstrahlung: Mit Stäbchenparkett und teils unverputztem Backsteinmauerwerk wirkt sie der üblichen Kälte im Inneren des White Cube entgegen, dabei stiehlt die zurückhaltenden Architektur der Kunst keinesfalls die Show.

Nach der Eröffnung im Jahr 1969 entstand nicht nur eine wichtige Sammlung, der fortschrittliche Ort gewann auch im Rahmen der „Ostsee Biennale“ internationale Bedeutung. Die Direktorinnen Annie Bardon (1991–1999) und Katrin Arrieta (2001–2006) wollten das Haus weiter in eine norddeutsch-skandinavische Richtung profilieren und dazu die Klassische Moderne und gegenwärtige Positionen zeigen. Beide reichten aber schließlich die Kündigung ein. Arrieta erklärte öffentlich, dass die politisch und finanziell immer schwieriger werdenden Umstände sie aufgeben ließen. Seit März 2009 wird die Halle, der bereits die Schließung drohte, in einer öffentlich-privaten Partnerschaft unter der Leitung des Zahnarztes Jörg-Uwe Neumann erfolgversprechend betrieben.

„Portfolio Berlin 01“ bildet mit Malerei den Auftakt einer dreiteiligen Reihe, in der Skulptur und Fotografie als weitere Schwerpunkte folgen sollen. Wie Hildebrandts Arbeit bereits unschwer zeigt, ist nicht nur Malerei zu sehen. Der Kurator und Berliner Galerist Stephan Koal hat im Gegenteil bewusst Künstler ausgewählt, die verschiedene Medien vereinen und die Schranken reiner Malerei durchbrechen. „Es geht nicht darum, Malerei a priori infrage zu stellen, sondern die Grenzen des Mediums zu erweitern und ihm neue Energien zuzuführen.“

Schön ist, dass der gewählte Parcours für einige Künstler Bereiche bereithält, in denen sie ungestört komplexe Arbeiten zeigen können – wie Antje Majewskis vielschichtige Fiktion eines „gänzlich neuen Kunstwerks“, mit dem sie im Jahr 2024 beauftragt wird –, bevor sich der Weg in die große Halle hinein öffnet und dort weniger Narratives denn Formales verhandelt wird. Da liegen etwa Katharina Grosses bunt besprühte Styroporkörper, der Form nach an zerknüllte Taschentücher erinnernd, mitten im Raum. Thomas Rentmeisters Kubus, der von vorne wie ein blau-weißes Streifenbild von Daniel Buren aussieht, besteht witzigerweise tatsächlich aus sorgfältig aufgestapelten Taschentücherpaketen.

Wirklich in einem Raumeinbau liegt nur Peggy Buths düsterer „Fieberraum“. Er spielt auf die museale Repräsentationsästhetik von imitierten Schreibstuben historischer Persönlichkeiten an. Nach und nach werden im Halbdunkeln neben dem schweren Holzschreibtisch und zwei Schrankkabinetten Brüche sichtbar. Da hängt ein Ölgemälde aus gespachtelter Teermasse, und das zweite Wanddekor besteht aus roter Auslegeware, in die grobe Linien gefräst wurden. Geschickt richtet sich das Aggressionspotenzial dieser Technik nicht nur gegen die Oberfläche, es untergräbt auch die symbolische Ebene des roten Teppichs – als öffentliches Symbol bestimmter Empfangscodes bestens bekannt. Gleichsam erschütternd sind Norbert Biskys gemalte Untergangsszenarien, die sich in den Raum entladen und dort fortgeführt werden. Unter einer aufgestellten Schulbank liegt ein Haufen bunter Pillen, und Sandsäcke stehen herum, als könnten sie Schutz vor den apokalyptischen Szenerien der Malereien bieten. Ob die Berliner Kunst die Rostocker Halle tatsächlich zurück in die Riege der angesagten Kunstorte holen kann, wird sich zeigen, eine gelungen Auswahl bildet sie allemal.

■ Bis 20. März 2011, Kunsthalle Rostock, Katalog (Distanz Verlag Berlin) 24,90 €