: Letzte Hoffnung Leipzig
Bergbaugegner vom Niederrhein klagen vor dem Leipziger Bundesverwaltungsgericht gegen den Kohleabbau unter dem Rhein. Sie fürchten, dass die Deiche bei Hochwasser brechen könnten
AUS LEIPZIG ALEXANDER FLORIÉ
Einen solchen Volksauflauf hatte das Leipziger Bundesverwaltungsgericht lange nicht mehr gesehen. Mit zwei Bussen waren über 80 Bergbaugegner aus Voerde, Walsum und Dinslaken vor das prachtvolle Gebäude gefahren. „Wir haben gestern in der Nikolaikirche eine Kerze angezündet, das bringt bestimmt Glück“, meinte ein Ehepaar. „Wir hoffen auf ein Grundsatz-Urteil, dass das Bergrecht auf eine demokratische Grundlage stellt“, formulierte der Anwalt der Kläger, Klaus Friedrichs, seine Erwartungen.
„Der Pastor hat uns den Segen gegeben – das wird schon klappen“, erinnerte ein Mitfahrer an das Gespräch mit dem Pastor der Leipziger Nikolaikirche, Jürgen Führer, am Abend zuvor. Der hatte den Bergbaugegnern vom Niederrhein mit der Geschichte der Montagsdemos und des DDR-Widerstandes Hoffnung gemacht.
Zur Verhandlung stand eine Klage der Stadt Voerde an: Die Kommune bezweifelt, dass der Beschluss der Bezirksregierung Arnsberg, der den Kohleabbau des Bergwerks West unter dem Rhein zulässt, rechtmäßig ist. Bergbaukritiker befürchten ein Absacken der Rheindeiche. Bei Hochwasser könnten diese brechen, argumentieren sie.
In dem glanzvollen Sitzungssaal des siebten Senats saßen dann die Vertreter der Bezirksregierung Arnsberg als Bergbaubehörde und der Deutschen Steinkohle säuberlich von den Klagebevollmächtigten der Stadt Voerde und der zehn Privatkläger getrennt, aber nebeneinander. Daneben waren auch zwei Vertreter des Bundes anwesend. „Ein historischer Moment“, meinte der Leiter der Abteilung Bergbau und Energie in Arnsberg, Michael Kirchner. Rechts vom Richtertisch lagen dutzende Ordner – nur ein kleiner Teil der über 2.700 Gerichtsakten zum Thema Walsum, zum Bergwerk West.
„Damit Sie als Publikum orientiert sind, hier geht es nur noch um Rechtsauslegungen“: Mit klaren Vorgaben für die Diskussion versuchte dann der Vorsitzende des fünfköpfigen Senats, Wolf Sailer, gleich zu Beginn, die Auseinandersetzung zu straffen. Fragen folgten: Ist etwa der Verzicht auf einen Teil des Abbaus eine Änderung oder eine Teilaufhebung des Rahmenbetriebsplans der Zeche? Die Debatte wurde dann trotz aller Freundlichkeit im Ton leidenschaftlich geführt.
Im Kern der Sache blieben die Kontrahenten unversöhnlich. Es habe grundsätzliche Verfahrensfehler gegeben, die eine Aufhebung des Rahmenbetriebsplans der Zeche rechtfertigten, kritisierte der Voerder Rechtsamtsleiter Steffen Himmelmann. Besonders kritische Rechtsfragen wie die Hochwassergefahr und die Auswirkungen auf Sachgüter seien ausgeklammert und auf spätere Nebenverfahren verschoben worden. Die Fragen von Hochwasserschutz und Sicherheit müssten aber im Rahmenbetriebsplan geklärt werden. Am Dinslakener Stapp seien Leib und Leben wegen des Deiches dort aufs Spiel gesetzt, so genannte Versagensrisiken nie geprüft worden. Das aber führe den Rechtsschutz ad absurdum.
Ein Defizit im späteren Verfahren sei dies zwar, aber nicht vor dem Bundesverwaltungsgericht zu diskutieren, widersprach der Anwalt der Bezirksregierung, Martin Beckmann. Eine Prüfung der Umweltverträglichkeit habe stattgefunden. Die Wasserrechtsbehörden dürften nicht die Entscheidung über den weiteren Abbau treffen. Es handele sich um eingeordnetes, abgestuftes Verfahren, das vom Bergrecht gedeckt sei.
Am Ende gingen die Beteiligten ohne Urteil auseinander – die Spannung bleibt bis zum heutigen Vormittag erhalten, denn dann will das Gericht um 11 Uhr das Urteil verkünden.