: Befleckte Madonna
Die Bremer Kunsthalle kauft ein Gemälde aus dem eigenen Bestand. Für 40.000 Euro. Zufällig war entdeckt worden, dass die Maria mit dem Kind aus den Kunst-Werkstätten Vivarini ihren jüdischen Besitzern von den Nazis geraubt worden war. Eine rechtliche Grundlage für Forderungen gebe es nicht
von Benno Schirrmeister
Wo die Geschichte beginnt? Ganz eigentlich um 1470 in Murano. Dort betrieb Bartolomeo Vivarini seine Kunst-Werkstätten: Einer seiner Angestellten malt da mit Tempera und auch mit neumodischen Ölfarben die Madonna mit dem Kinde, auf Holz. Das rosa Kleid hebt sich fein vom Goldgrund ab, und lässig trägt die Dame ihren samtig-gelben Überwurf, Brokat bestickt, das hat Mühe gekostet. Die Tafel hängt in Bremen, in der Kunsthalle, das einzige Stück aus dem Umfeld der venezianischen Künstlerfamilie: wichtig für die Renaissance-Sammlung. Aber entscheidend ist, wie sie dorthin gekommen ist. Und für diese Geschichte ist der 25. Januar 1935 wichtig. Und der 12. Dezember 2006.
Am 12. Dezember hat der Vorstand des Bremer Kunstvereins beschlossen, das Bild, das seit 70 Jahren zum Bestand des Museums zählt, für 40.000 Euro erneut zu kaufen. Das entspricht seinem Marktwert. Vor zehn Jahren wäre der wohl höher geschätzt worden. Schließlich hielt man das Andachtsbild damals noch für ein Werk des Meisters selbst. Aber bei einer Fachtagung in Venedig war herausgekommen: Das ist nicht haltbar. „Die allgemeine Könnerschaft, der Stil, die Komposition, die Strichlänge, der Grad der Reduktion“, das alles spreche gegen die Urheberschaft Vivarinis, sagt Gemälde-Kustodin Dorothee Hansen. Im vergangenen Jahr seien diverse Gutachter zum selben Ergebnis gekommen, „das war ja wichtig, um die Summe zu ermitteln“.
In den Blick gekommen ist es aber aus ganz anderem Grund. Hansen betreut derzeit eine Magisterarbeit. Deren Thema: Die Erwerbungen Emil Waldmanns. Waldmann war seit 1914 Direktor der Kunsthalle, und er war es bis 1945. Und im Januar 1935 war er von Bremen nach Berlin gereist. Über den 25. Januar 1935 ist zu erfahren, dass in Berlin Temperaturen um null Grad herrschten. Gerade war eine lange Frostperiode zu Ende gegangen, es lag wenig Schnee. Auch das Ziel Waldmanns ist bekannt. Der Kunsthistoriker, der laut wikipedia.org „eine glückliche Hand bei Neuerwerbungen für die Kunsthalle“ hatte, war auf dem Weg ins in den 1920er Jahren entstandene Künstlerviertel zwischen Potsdamer Straße und Lützowplatz. Dort fand eine Auktion statt. Bei Paul Graupe in der Bellevuestraße 3.
Graupe war, wie viele seiner ursprünglichen Nachbarn und Kollegen, jüdischer Herkunft. 1935 hatten einige schon aufgegeben: Alfred Flechtheim zum Beispiel, das war schon zwei Jahre her. Und Bruno Cassirer versuchte, seinen Verlag am Leben zu halten. Ohne seinen Bruder Paul, der tot war. Nur Graupes Geschäfte prosperierten.
Dafür gibt es Beweise: Wer den Namen des Galeristen im Suchformular des Raub- und Beutekunstportals www.lostart.de eingibt, erhält 1.566 Treffer. Aktenkundig ist er auch beim Staatsminister für Kultur und Medien. In der Handreichung von 2001, die regelt, wie mit der „Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ zu verfahren ist, steht Graupes Betrieb auf Platz eins der Liste von „Auktionshäusern, die auf Zwangsversteigerungen von Kunst aus jüdischem Besitz spezialisiert waren“. So auch die Sammlung von Jakob und Rosa Oppenheimer. Jakob Oppenheimer starb 1941 in Nizza, Rosa 1943 in Auschwitz, nach Frankreich geflohen war das Kunsthändler-Ehepaar aber schon 1933. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Graupe verdiente daran: Am 25. Januar 1935 verramschte er die Gemälde, am 26. auch. Und drei Monate später den Rest.
„Wir haben sofort Kontakt mit den Erben-Anwälten aufgenommen“, sagt die Gemälde-Kustodin Hansen. Dazu habe man sich „moralisch verpflichtet gefühlt“, auch wenn es „rechtlich keine Grundlage“ für Forderungen gegeben habe. Einerseits, weil die Erben einen Antrag auf Rückerstattung 1960 zurückgezogen hatten, andererseits, weil sie eine finanzielle Entschädigung erhalten hatten und weil die Besitzansprüche verjährt sind.
Nach deutschem Recht wenigstens. In Kalifornien hingegen klagt gerade Claude Cassirer gegen die Stiftung Thyssen-Bornemisza in Madrid. Er fordert ein Gemälde Camille Pissaros zurück, das seinem Urgroßvater gehört hatte. Und man sagt, er habe gute Aussicht auf Erfolg. Mit einer Klage in Santa Barbara hatten auch die Erben von Adele Bloch-Bauer gedroht. Dann kam es zu einem Schiedsverfahren in Österreich – und das teuerste Gemälde der Welt emigrierte in die USA.
„Es ist ein wenig eine Grauzone“, sagt York Langenstein. Zweifellos, so der Präsident der deutschen Sektion des internationalen Museumsrates (ICOM), die Zahl der Anfragen steige: Amerikanische Anwälte würden „systematisch die Bestände abgrasen“ und „auf Basis eines Erfolgshonorars“ versuchen, Bilder freizuklagen. Dagegen müssten sich die Museen schützen – „durch Einzelfallprüfungen“. Andererseits sei Deutschland dem Washingtoner Abkommen von 1998 beigetreten, das zu „fairen und gerechten“ Rückgabelösungen verpflichtet. Auch gelte die Vereinbarung von Bund, Ländern und Spitzenverbänden von 2001. Zwar könne niemand ein Museum rechtlich dazu zwingen. Schließlich gelte das BGB. Aber: „Das ist ein Politikum.“ Ein Museum das gegen die Abkommen verstößt, „käme wohl ins Schlingern.“
Gerade in Bremen: Bernd Neumann hat schließlich bekräftigt, dass die Regelungen weiter gelten. Neumann ist Kulturstaatsminister der Bundesregierung, und er ist Landesvorsitzender der Bremer CDU. Die hat, so sagt man, im Kunstverein die Mehrheit. Deutschland werde seiner moralischen Verpflichtung zur Rückgabe von NS-Raubkunst „uneingeschränkt nachkommen“, hat er gesagt – am 12. Dezember 2006.