: Problemzone Dorf
AUS BERLIN ASTRID GEISLER
Lokale Beobachter warnen seit langem davor: In einigen wirtschaftlich schwachen, ländlichen Regionen Ostdeutschlands braut sich ein brisantes gesellschaftliches Klima zusammen. Die gestern vorgestellte Studie „Deutsche Zustände“ des Bielefelder Sozialwissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer liefert erstmals statistische Belege für diese Befürchtung. Gerade in ländlichen Regionen im Osten drohe sich ein homogen menschenfeindliches Meinungsbild zu etablieren, warnt das Heitmeyer-Team.
In ihrem Langzeitprojekt untersuchen Wissenschaftler von der Uni Bielefeld seit 2002 jährlich die Entwicklung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland: Wie viel Hass gibt es auf Fremde, Schwule, Frauen, Juden und Muslime? In diesem Jahr lag der Fokus der Studie insbesondere auf Stadt-Land- und Ost-West-Unterschieden.
Die höchste Fremdenfeindlichkeit findet sich laut der Befragung in Mecklenburg-Vorpommern. Dort zeigen mehr als 63 Prozent der Einwohner eine solche Haltung. In Thüringen waren es 61 Prozent – der gesamtdeutsche Mittelwert liegt bei gut 48 Prozent, der Schnitt im Westen bei knapp 46 Prozent, im Osten bei 60 Prozent. So groß also ist der Anteil jener, die finden: „Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“ und „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“. Für die Studie wurden bundesweit 1.740 Menschen ohne Migrationshintergrund telefonisch interviewt.
Die Forscher untersuchten erstmals auch den Zusammenhang zwischen dem Hass auf Fremde und der sozialen Entwicklung einer Region. Ihr Ergebnis: In abwärts driftenden Gebieten gerade in Ostdeutschland tritt Fremdenfeindlichkeit deutlich häufiger auf als in prosperierenden Regionen. Die Menschen in diesen Gegenden haben laut der Erhebung zudem weit mehr Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Während sich in schwächelnden Gebieten 46 Prozent sozial bedroht fühlen, sind es in aufwärts strebenden Gegenden 24. Dies, so die Wissenschaftler, sei zweifellos „ein Nährboden für ein feindseliges Klima“.
Die höchste Fremdenfeindlichkeit herrscht der Studie nach in Dörfern und Kleinstädten Ostdeutschlands. Angesichts drastischer Abwanderungsraten und eines sinkenden Bildungsniveaus ergebe sich gerade für einige Ost-Regionen ein „alarmierendes Bild“: In ganzen Kommunen könne sich hier ein homogen feindseliges Klima etablieren.
Von Patriotismuskampagnen als Mittel gegen wachsende soziale „Desintegrationsängste“ hält Soziologe Heitmeyer nichts. Im Gegenteil: „Es ist gefährlich, soziale Desintegration mit Nationalstolz kompensieren zu wollen“, so der Soziologe gestern. Denn Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ steigerten nicht nur das Zugehörigkeitsgefühl zu einem großen Ganzen, sondern gleichzeitig auch die Ressentiments gegen schwache Minderheiten. Zudem gingen solche Kampagnen zulasten der Wertschätzung der Demokratie aus.
Auch der zur Fußball-WM vielbejubelte „Partypatriotismus“ habe keine nachweisbar positiven Effekte nach sich gezogen, so das Forscherteam. Der Zusammenhang zwischen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit sei vor und nach der WM vergleichbar gewesen. Politiker sollten sich deshalb hüten, das Land mit „Identitäts- und Patriotismuskampagnen zu überziehen“. Entscheidender sei die Erziehung zur Demokratie – mit „kritischem Bezug zum eigenen Land“.