Starkes Kind karrieregeiler Eltern

Ich stelle mir vor, in 20 oder 30 Jahren sitzt mein Sohn an seinem Schreibtisch und bringt seinen „Holy Horror“ zu Papier. Ob es dann das Weihnachten sein wird, an dem er fünf war und ebenso viele Wunschzettel kreierte? Schreiben oder Malen können braucht er dafür nicht, einfach nur die Kinderschere zur Hand und ausschneiden und aufkleben, was ihm aus den einschlägigen Spielzeugprospekten entgegenspringt. Unmöglich, alles zu schenken.

Erstens fällt die Hälfte ohnehin unter das Kriegswaffenkontrollgesetz, zweitens schenkt die pädagogisch aufgeklärte Mutter heute möglichst wenig, dafür aber Motorik und Intelligenz förderndes Spielzeug. Drittens kostet schon ein „Action Man“ 30 bis 40 Euro.

Zahlreiche Aufklärungsversuche - „Du, das kriegst du nicht alles geschenkt. Weihnachten funktioniert nicht so.“ - hat er geflissentlich ignoriert. Murrend zog ich los, kaufte ein wenig von dem, was er wollte - einen guten und einen bösen Kämpfer - und - ich hoffte, das würde ihn beeindrucken - ein Kinder-Walkie-Talkie. „Ich krieg‘ doch aber alles, was auf dem Wunschzettel steht“, beharrte er wenige Tage vor Ladenschluss. Ich hatte gerade im Radio einen Psychologen sagen hören, dass Kinder, die im Konsumrausch sind, meist von ihren karrieregeilen Eltern vernachlässigt werden. Materiellen Verzicht üben, so predigte ein anderer Experte, mache „Kinder stark“. Na klasse.

Mein Sohn war inzwischen so stark, dass er im Supermarkt drohte, vor die Kasse zu pinkeln, wenn ich ihm keine Schokolade kaufte. Er machte es nicht. Trotzdem bekam ich vor Heiligabend Angst. Ich wollte glückliche Kindergesichter im Kerzenschein und keine Wutausbrüche. Mein Partner kann letztere besser ertragen und war mir deshalb keine große Hilfe: „Schenk ihm zwei kleine Autos und ein Ü-Ei. Das reicht!“ Oma und Opa waren bereits auf den Anti-Verwöhn-Trip eingeschworen und hatten „nur“ Kleidung und Bilderbücher in petto. Und ich hatte jeden Abend ein vor überschäumenden Erwartungen fast durchgedrehtes Kind ins Bett zu bringen.

Zwei Tage vor Weihnachten kam die rettende Idee: Sollte doch der Kerl, der uns das alles eingebrockt hat, die Sache ausbaden. Mein Sohn war zwar nicht im strikten Glauben erzogen worden, dass es ihn gab. Aber als unser verkleideter Nachbar in der Tür stand, zollte er dem rotbemantelten bärtigen Wesen gehörigen Respekt. Und mehr als drei Pakete waren in dessen Beutel halt nicht dabei. Mein Sohn packte die Präsente aus und bedankte sich artig. Dem Weihnachtsmann pinkelt man halt nicht ans Bein.

KAIJA KUTTER