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Archiv-Artikel

Immer tiefer im eigenen Blut

Die Vorschläge des Baker-Hamilton-Kommission taugen nicht, um den Irak zu befrieden. Wichtiger wäre es, dort endlich für Wasser, Strom, Medizin und mehr Arbeit zu sorgen

Syrien und Iran haben die Demokratisierung im Irak torpediert. Nun wollen sie auch noch belohnt werden

Es gehört zu den Lehren aus der jüngsten Geschichte, dass die amerikanische Armee alle Kriege, die sie führte, zunächst für sich entscheiden konnte. Die Befriedung der besiegten Länder gelang ihr allerdings nur in wenigen Fällen: In der Regel wurde die – immerhin rechtsstaatlich kontrollierte – US-Armee zum Rückzug gezwungen, sobald sich relevante Teile der Bevölkerung gegen sie erhoben. Das war so in Vietnam, im Libanon und in Somalia, und das wird auch in Afghanistan oder im Irak der Fall sein. Denn man kann einfach keinen Sieg gegen Leute verbuchen, die sich ohnehin dem Märtyrertod verschrieben haben.

Mit der Einsetzung der so genannten Iraq Study Group hat die Bush-Regierung das Scheitern ihrer Irakpolitik eingestanden. Den zentralen Empfehlungen des Gremiums – Gespräche mit dem Iran und Syrien und ein langsamer Rückzug aus dem Irak – mochte sie bislang aber nicht folgen. Denn die Empfehlungen taugen nicht, der höchst prekären Sicherheitslage des Landes etwas entgegenzusetzen. Die intriganten Nachbarstaaten des Iraks haben längst ihre eigenen langfristigen Strategien entwickelt. Sie werden den Irak auch weiterhin in seinem eigenen Blut versinken lassen. Die Schlacht wird schließlich nicht auf dem Papier entschieden, sondern indem Tatsachen geschaffen werden.

Der Hauptfehler der Bush-Regierung war nicht, die Sicherheitsorgane und die Baath-Partei aufzulösen. Deren ehemalige Mitglieder haben durch die Hintertür oft wieder ihren Weg in die staatlichen Institutionen, Armee und Ministerien gefunden. Viel verheerender ist die Tatsache, dass diese Regierung den Wiederaufbau des Landes sträflich vernachlässigt – trotz der 350 Millionen Dollar, die sie angeblich in die Sicherheit des Landes investiert hat. Sie hat denjenigen irakischen Politikern ihr Vertrauen geschenkt, die nur auf ihren Vorteil bedacht sind und die das Land durch ihre sektiererischen Machenschaften ins absolute Chaos gestürzt haben.

Die US-Regierung hat damit ein radikalislamisches Staatengebilde gefördert, dessen Geisel sie nun selbst geworden ist. Sie hat es noch nicht einmal vermocht, zumindest in den als sicher geltenden Gebieten für normale Verhältnisse zu sorgen, oder die Morde an UN-Politikern oder bekannten irakischen Persönlichkeiten aufzudecken. In Afghanistan benötigten die ausländischen Truppen nur zwei Wochen, um den Flughafen von Kabul in Betrieb zu nehmen. Im Irak ist der Bagdader Flughafen nach mehr als drei Jahren immer noch nicht ganz funktionsfähig. Die Amerikaner wissen offenbar überhaupt nicht, was sie eigentlich im Irak wollen.

Erfolgreich und wirkungsvoll war dagegen die Einmischung der Anrainerstaaten. Syrien und Iran haben ihre Chance genutzt, das amerikanische „Demokratisierungsprojekt“ schon im Ansatz zu torpedieren und die Amerikaner zu Zugeständnissen zu zwingen. Schließlich sind ihnen nicht nur die politischen und religiösen Eigenheiten des Iraks vertraut, sondern auch dessen regierende „Elite“, die sie schon während deren Zeit in der Opposition tatkräftig unterstützten.

Der Preis einer Einbindung Syriens und Irans in eine friedliche Lösung der Probleme im Irak dürfte für die Amerikaner sehr hoch sein: Die iranische Atombombe, die Rückgabe der von Israel besetzten Golanhöhen an Syrien – das hatte der syrische Staatspräsident Baschar Assad bereits persönlich als Gegenleistung verlangt – sowie die Einstellung der UN-Untersuchungskommission im Mordfall des libanesischen Ministerpräsidenten Hariri, außerdem ein stärkeres Engagement Syriens im Libanon. Alles deutet darauf hin, dass die Bush-Regierung diese Bedingungen keineswegs akzeptieren will und kann. Der Irak wird somit weiterhin Spielball regionaler und internationaler Mächte bleiben, die ausschließlich ihre eigenen Interessen verfolgen.

Auch Länder wie Saudi-Arabien, Jordanien oder Ägypten haben sich nun zu Wort gemeldet. Sie fürchten einen so genannten „schiitischen Gürtel“, der die drei wichtigen Regionalmächte Iran, Irak und Syrien umschließt. Diese Befürchtungen sind zum Teil berechtigt. Denn unter dem Deckmantel des schiitischen Islams ist der Iran schon sehr weit gekommen, seine Hegemonialbestrebungen im Irak zu verwirklichen. Aus diesem Grund versucht nun Saudi-Arabien durch finanzielle Anreize und politische Zugeständnisse, Syrien aus diesem Dreiergespann abzukoppeln. Zudem will Saudi-Arabien in Ägypten ein Kernforschungsprojekt zur „friedlichen Nutzung“ der Atomenergie mit finanzieren, um ein Gegengewicht zum Iran zu bilden. Es kündigt sich eine neue Phase der Aufrüstung und atomaren Abschreckung im Nahen Osten an.

All diese Entwicklungen interessieren die Iraker im Grunde nicht. Seit Jahrzehnten kämpfen sie ums nackte Überleben. Sie kämpfen aber auch gegeneinander, weil ihre politischen und religiösen Führer nur an ihre kurzsichtigen politischen und wirtschaftlichen Interessen denken. In ihrer Rhetorik und in ihrem Handeln facht die neue Machtriege den Hass zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen an. In ihrer Brutalität stehen die neuen Machthaber ihrem einstigen Gegner Saddam Hussein in keiner Weise nach, und ihre Mordtaten treffen meist unschuldige, wehrlose und arme Menschen. Nachdem sie entlang der konfessionellen Linien ihre Stellungen gefestigt haben, versuchen sie nun, jeder ein „gereinigtes“ Territorium für ihre Herrschaft zu schaffen.

Das Wort vom „Bürgerkrieg“ ist allerdings irreführend. Denn der klassische Begriff eines Bürgerkriegs, wie man ihn aus Spanien, Vietnam oder Algerien kennt, trifft auf die Lage im Irak nicht zu. Erstens existiert dieser vermeintliche Bürger im Irak kaum. Und zweitens kämpfen hier nicht Bürger gegen Bürger. Stattdessen findet ein endloses Gemetzel statt, an dem Schiiten und Sunniten gleichermaßen beteiligt sind. Dabei geht es letztlich nicht um das Land, sondern einzig und allein um die Loyalität zu einer religiösen Sekte oder einem Stammesführer. Der Irak selbst bleibt ohne Fürsprecher.

Nur die Kurden im Nordirak haben aus diesem Chaos das Beste für sich herausgeholt: Sie haben ihr Gebiet politisch und wirtschaftlich abgesichert und regieren nun mit über die arabischen Gebiete des Iraks – allerdings, ohne einen erkennbaren Beitrag zur Beruhigung der Lage in diesem Landesteil zu leisten.

In Kabul dauerte es drei Wochen, den Flughafen in Betrieb zu nehmen. In Bagdad mehr als drei Jahre

Die Vorschläge der Baker-Hamilton-Kommission kreisen hauptsächlich um militärische und politische Fragen. Das sind natürlich wichtige Aspekte. Doch von entscheidendem Vorteil für die notleidenden Menschen im Irak wäre nicht, die destruktiven Nachbarländer zu belohnen oder die Besatzungsarmee zu reduzieren. Sondern ihre dringenden Grundbedürfnisse zu erfüllen und die Wirtschaftslage zu verbessern.

Nach wie vor gibt es im Irak kein sauberes Wasser, keine ausreichende medizinische Versorgung, nicht genügend Strom und nicht genug Brennstoff. Die irakische Bevölkerung bleibt der Verlierer in diesem kaltblütigen Machtpoker.

HUSSEIN AL-MOZANY