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Archiv-Artikel

„Radikal linke Pop-Entwürfe“

PUNK Chain and the Gang, die aktuelle Band des Punk-Dialektikers Ian Svenonius, kommt nach Bremen. Ein Gespräch mit dem Zürcher Svenonius-Forscher Robert Best

Robert Best

■ 34, lebt in Zürich und arbeitet als Lehrer und freier Journalist. Von 2004 bis 2008 schrieb er regelmäßig in der taz.bremen über Theater, Kunst und Musik.

INTERVIEW BENJAMIN MOLDENHAUER

taz: Herr Best, Sie befassen sich seit fast fünfzehn Jahren mit dem Wirken von Ian Svenonius. Was fasziniert Sie an ihm?

Robert Best: Svenonius ist eine der vielseitigsten Figuren der neueren Popgeschichte. Als Sänger und Musiker hat er nur den etwas undankbaren Status Kultfigur abbekommen. Seine Bands Nation Of Ulysses, Make-Up, Weird War und Chain and the Gang sind allerdings ungleich wichtiger für das, was man gemeinhin „Indie“ nennt, als Stadionbands wie die Editors. Jedenfalls für mich.

Bekannt wurde Svenonius hierzulande 1991 mit der Platte „13-Point Program to Destroy America“ seiner ersten Band Nation of Ulysses, zurzeit tourt er mit dem erwähnten Musikerkollektiv Chain and the Gang durch Deutschland. Was verbindet denn diese musikalisch ja doch sehr unterschiedlichen Projekte miteinander?

Es handelt sich um radikal linke Pop-Entwürfe. Aber nicht mit der Hauptfrage: Wie verpacke ich meine „Message“ in einen Song? Sondern mit dem Anspruch, emanzipatorische, im Wortsinn befreiende Musik zu machen. Svenonius zitiert aus Jahrzehnten randständiger Musikgeschichte, von Gospel bis Punk, und was der Markt dazu sagt, ist ihm herzlich egal.

Make-Up waren ja schon eine sehr rohe Version von Soul und Gospel. Gegen die äußerst reduzierten Platten von Chain and the Gang klingen seine früheren Projekte aber wie Queens „Bohemian Rhapsody“. Zugleich drehen sich viele der Texte um den desolaten Zustand von Rockmusik und Subkultur. Gibt es da einen Zusammenhang?

Das neue Album von Chain and The Gang heißt „Minimum Rock’n’Roll“. Der Bass wird wichtiger, die Drums spärlicher, zugleich wird der Verzerrer aufgedreht. Im Booklet steht: „You’ve had the maximum ... it was not sufficient ... Now it’s time for the minimum ...“ Krisen, wie in der Kultur und anderen Industrien, sind zwar Thema. Für larmoyante Selbstbespiegelung ist die Musik aber deutlich zu hedonistisch und abenteuerlustig.

„Radikal linke Pop-Entwürfe“ klingt sehr konzeptuell und überlegt. Dem steht dieser Hedonismus wiederum sehr entgegen. So viel ekstatische Bewegung ist ansonsten nur selten auf der Bühne. Oder ist der Mann Dialektiker?

Tatsächlich, Svenonius ist einer der wenigen Musiker, die nicht nur ihren Marx, sondern auch ihren Engels gelesen haben. Die krude scheinende Mischung aus Intellektualismus und körperlichem Rock’n’Roll kann man Dialektik nennen – und sie ist vielleicht der einzige Weg für linken Pop. Theoretisch unterfüttert hat Svenonius seine Musik inzwischen auch. 2006 hat er mit „The Psychic Soviet“ ein Büchlein mit Aufsätzen veröffentlicht, die das ganz große Fass aufmachen. Da wird jede These aus dem zunächst Plausiblen herzerfrischend ins grotesk Wahnhafte überführt. Perfekte Sommerlektüre.

Was Sie als wahnhaft beschreiben, ist aber vermutlich ebenfalls eine bewusste Geste, oder ist der Mann einfach bekloppt?

Die einen sagen so, die anderen so. Svenonius neigt auch zum Guruhaften. Im ersten Aufsatz geht es um „Psycho-Geo-Tics“, die Sowjetunion als ideelle Mutter und die USA als Vater. Die Supermächte sind deine Eltern. Klar muss man solche Ideen auch elaborieren, wenn man sie schon mal hat.

Vielleicht ist das ja auch ein strategisch eingesetzter Wahn, der dabei hilft, sich so weit es geht von dem zu lösen, was man als Normalität kennt und ablehnt.

Ziemlich sicher ist da eine Menge Eskapismus im Spiel. Visionen auch. Wahn ist ja auch nur eine Wirklichkeit.

Ästhetisch greift Svenonius zumindest mit Make-Up und Chain and the Gang dezidiert auf die Sechziger zurück. Ist das nun retro?

Sicher. Und wer sich davon abschrecken lässt, verpasst was. Vielleicht ist die Ästhetik eine Hürde, ein Test, vor allem aber mehr als nur „radical chic“. Coolness bedeutet in der Musik seiner Bands immer, sich über die Coolnesscodes hinwegzusetzen.

Um zum Wesentlichen zu kommen: Was bedeutet Ihnen diese Musik?

Lust an der Musik und am Leben, Empörung, Eleganz, Dandytum, Besserwissen ohne Klugscheißerei. Die meisten Tracks aber wecken in mir ganz banal die Lust auf aufregende Erlebnisse.

■ Chain and the Gang spielen am Samstag, den 21. Juni ab 21 Uhr in der Friese