Zweierlei Maß im Nahen Osten : KOMMENTAR von KARIM EL-GAWHARY
In den Palästinensergebieten hat Präsident Mahmud Abbas Neuwahlen angekündigt; die gewählte Hamas-Regierung bezeichnet das als „Staatsstreich“. Im Libanon passiert derzeit das Gleiche, nur unter umgekehrten Vorzeichen: Die Hisbollah fordert dort, eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden oder Neuwahlen abzuhalten, und setzt auf Massenproteste. Die libanesische Regierung unter Premier Fuad Siniora spricht deshalb ebenfalls von einem drohenden „Staatsstreich“ – diesmal einem islamistischen.
Und wie reagiert der Westen? Auf die Ankündigung von palästinensischen Neuwahlen haben die USA und die EU positiv reagiert – in der Hoffnung, dass sich so der Einfluss der Hamas wieder schmälern ließe. Im Libanon dagegen genießt Siniora als „demokratisch gewählter Ministerpräsident“ die Unterstützung des Westens, während die Hisbollah verteufelt wird.
So viel zur Prinzipientreue in Sachen Demokratie. Hatte man in den USA und in Europa nicht einst das Amt des palästinensischen Ministerpräsidenten eingeklagt, ja gar schaffen lassen, um den Einfluss des damals unerwünschten Präsidenten Jassir Arafat einzuschränken? Dann wurde – so ein Pech – ausgerechnet ein Hamas-Mann zum Premier gewählt. Also benutzt man jetzt das Amt des Präsidenten, um den Einfluss des Ministerpräsidenten zu beschneiden.
Lässt sich so tatsächlich glaubwürdige westliche Politik im Nahen Osten machen? Es bleibt ein Fehler, zu glauben, dass sich Hamas und Hisbollah durch irgendwelche Tricks einfach wegzaubern ließen. Beide werden ein Teil der arabischen politischen Landschaft bleiben – gleichgültig ob man Neuwahlforderung zu ignorieren versucht wie im Libanon oder sie erst politisch und finanziell sabotiert und dann durch Neuwahlen loszuwerden sucht wie in den Palästinensergebieten.
Um die Machtverhältnisse wirklich zu ändern, sollten Europa und die USA ihre Energien darauf verwenden, den Menschen wieder eine Perspektive für eine friedliche und politische Lösung der Konflikte zu geben, die die Hamas und die Hisbollah erst stark werden ließen. Dazu aber bedarf es einer anderen Haltung, als nach Gusto mit demokratischen Prinzipien zu jonglieren.