: „Stonewall und CSD sind eine untrennbare Einheit“
DAMALS WAR’S … Das Schlimmste, das er sich anhören musste: „Euch hätte man alle vergasen müssen!“ Bernd Gaiser, Mitorganisator des ersten Berliner CSD, über die Kraft einer Idee und die aktuellen Querelen um die Umbenennung
■ geboren 1945 im Kreis Heidelberg, Zwischenstationen als Verlagskaufmann und bei der Marine. 1967 zieht er nach Berlin – der Liebe wegen. Ab 1971 engagiert er sich in der HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin), arbeitet bei der Berliner Schwulen Zeitung und ist im Juni 1979 einer der Organisatoren des ersten Berliner CSD.
taz: Herr Gaiser, Sie sind einer der Organisatoren des ersten Berliner CSD im Jahr 1979. Wie kam es zu dieser Aktion?
Bernd Gaiser: Ein Freund von mir war damals kurz vorher in New York gewesen. Er kam zurück und war total aufgeregt und begeistert. In New York seien gerade die Vorbereitungen für die Zehnjahresfeier der Stonewall-Proteste in vollem Gange, erzählte er uns. So etwas müsste man doch hier auch machen!
Wie ging es dann weiter?
Wir wurden alle mitgerissen von seiner Idee. Wir fingen an, an einem Flugblatt zu arbeiten, mit dem wir die Leute zu unserem CSD einluden. Damit sind wir dann wochenlang durch die Berliner Szene getingelt. Durch schwule Buchläden, Kneipen und Cafés. Durch die einschlägigen Orte im Tiergarten und durch die sogenannten „Klappen“, wie wir das damals nannten: öffentliche Bedürfnisanstalten, Toiletten, ebenfalls ein beliebter Treffpunkt von Schwulen damals.
Wie reagierte die Community auf Ihre Idee?
Die Reaktionen waren gespalten. Es gab viel Zustimmung, aber auch einige Vorbehalte. Die einen sagten: Ihr seid verrückt. Die anderen sagten: Das ist genau die richtige Sache, die uns endlich mal wieder auf die Straße bringt. Alle brieten ja irgendwie in ihrem eigenen Saft, damals. Das war nach dem „Tuntenstreit“ …
… als bei der Abschlussdemo nach einem schwulen Pfingsttreffen 1973 in Westberlin französische und italienische Demonstranten in Frauenkleidern auftraten – was ein Teil der deutschen Schwulen wiederum als unnötige Provokation kritisierten.
Die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW) verlor sich daraufhin in Meinungsverschiedenheiten. Hätten wir auf die HAW gewartet, wäre der CSD wahrscheinlich nie zustande gekommen. Die Aktion konnte nur funktionieren, weil da ein paar Leute gesagt haben: Das ist gut, das machen wir jetzt.
Wie lief dann die erste CSD-Parade ab?
Wir waren ein bunter Haufen, zwischen 400 und 500 Leute. Wir tanzten damals mit selbst gemalten Transparenten und Pritschenwagen über den Ku’damm und schrien in unsere Megafone: „Schwule, lasst das Gaffen sein, kommt herbei und reiht euch ein! – Lesben, erhebt euch, und die Welt erlebt euch!“
Der CSD richtete sich also zunächst im Wesentlichen an die Schwulen selbst?
Eine der Hauptforderungen war die Abschaffung des Paragrafen 175, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte. Die andere große Forderung war an die Schwulen selbst gerichtet und lautete: Mach dein Schwulsein öffentlich. Das war auch der eigentliche Sinn dieser Veranstaltung. Der Öffentlichkeit zu zeigen: Wir sind da, und wir sind auch nicht wegzudenken.
Welche Reaktionen kamen da zurück?
Die Resonanz der Öffentlichkeit war überraschend positiv. Das war auf der ersten Schwulendemo im Jahr 1973 noch ganz anders. Damals gab es unglaubliche Anfeindungen. Die Passanten reagierten sehr aggressiv. Das Schlimmste, das ich mir anhören musste, war: Man hätte euch Schwule alle vergasen müssen. Das war beim ersten CSD dann schon nicht mehr so. Die Gesellschaft hatte sich liberalisiert.
Die Berliner Gay Community liegt momentan im Clinch. Gestritten wird über die Umbenennung des CSD in Stonewall Parade.
Am Anfang hat mich die geplante Umbenennung auch verwirrt und ich habe gesagt: Was!? Die wollen uns den CSD wegnehmen? Auch ich habe meinen Widerstand zum Ausdruck gebracht. Doch nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass Stonewall und CSD eine untrennbare Einheit sind. Daher mein Kompromiss: Der Tag bleibt der CSD und die Parade wird zur Stonewall Parade.
Das Aktionsbündnis wirft dem CSD e. V. unter anderem vor, die Abstimmung über den neuen Namen sei zu undemokratisch abgelaufen.
Ich finde auch, dass der Vorstand des CSD e. V. sehr abgehoben agiert hat und den Eindruck erweckt, als seien die Einwände vonseiten der Community gar nicht relevant. Trotzdem stehe ich auch dem Aktionsbündnis kritisch gegenüber. Ich kann natürlich verstehen, dass die Leute ihre eigenen Vorstellungen von einem CSD verwirklichen wollen – aber man hätte vielleicht auch eine andere Lösung für das Problem finden können. Beispielsweise hätte man einen neuen Vorstand wählen können. Die ganze Aktion klingt für mich wie eine Kurzschlussreaktion. Vielleicht liegt das aber auch an meinem Alter. Wenn ich so zurückblicke, dann sehe ich: Obwohl immer alles sehr langsam geht, bewegt sich trotzdem etwas.
Hätten Sie sich vor 50 Jahren träumen lassen, dass der CSD mal ein derartiges Massenevent werden könnte?
Nein, das hätten wir uns nie vorstellen können! Ich stehe dieser Entwicklung aber auch etwas gespalten gegenüber. Natürlich ist es toll, dass sich so viele Menschen für den CSD begeistern können und die Veranstaltung in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Wenn man sich aber heute einen CSD-Umzug anschaut, dann bekommt man den Eindruck, als gehe es nur noch um die Party. Ich will niemanden kritisieren – aber ich finde, der CSD muss auch weiterhin ein Forum sein, das den Leuten ermöglicht, ihr politisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen. Der Streit darüber, dass der CSD nicht politisch genug ist, ist aber schon so alt wie der CSD selbst. Ich glaube, das wird sich auch in Zukunft nicht lösen lassen.
INTERVIEW: GESA STEEGER