: Gemeinsam pflückten sie Himbeeren
HAUSBESUCH Traudel und Rolf Schieber fanden sich auf jesus.de. Das Hochzeitskleid war „an der Tracht angelehnt“
VON MARLENE GOETZ (TEXT) UND DIRK MANDERBACH (FOTOS)
Niederdresselndorf, in der Gemeinde Burbach des Landkreises Siegen, in NRW, zu Hause bei Traudel (63) und Rolf (75) Schieber.
Draußen: Fachwerk, ein altes Bauernhaus im Dorf: Die linke Seite wurde von Rolf Schieber renoviert. Hinter einer Scheune der Garten mit großem Kirschbaum („wenn der Nachbar nicht gerade den Rasen mäht, ist es hier sehr ruhig“). Zwei Stockwerke, wenige Fenster. Der Haupteingang wird nicht benutzt, nur die Seitentür.
Drin: Im Erdgeschoss sind Bad und Büro, eine Wendeltreppe führt zur Küche, deren Wände nur 1,90 Meter hoch sind („früher hat man so gebaut, sparsam“). Das Wohnzimmer nebenan wurde erhöht, darin ein langer Esstisch aus Holz und ein fast zweihundert Jahre alter Bauernschrank („das Treppenhaus ist zu eng: Um ihn rauf zu kriegen, mussten wir ihn auseinander sägen“). Der Dachboden ist ausgebaut.
Wer macht was? Traudel Schieber ist Buchhalterin („klingt langweilig, ist aber abwechslungsreich“), sie kümmert sich um das Personal eines Heizungs- und Sanitärbetriebs. Freut sich auf die Rente in zwei Jahren, sie will dann Sterbehilfe in einer Hospizgesellschaft leisten. Rolf Schieber ist im Ruhestand. Er hatte Prostatakrebs und eine Gehirnblutung und versucht sich nun fit zu halten, körperlich mit Spaziergängen, geistig, indem er Saxofon lernt und Rechenaufgaben löst.
Wer denkt was? Rolf hat „fünf schwierige Jahre hinter sich“: Er wurde depressiv, der Arzt diagnostizierte eine „Pseudo-Demenz“. Traudel leidet unter den Konflikten in ihrer Kirchengemeinde („es gibt alte Differenzen, die nie aufgearbeitet wurden. Ich fühle mich manchmal kaltgestellt“). Beide sind sehr religiös und gehören den Baptisten an, einer evangelischen Freikirche.
Rolf: wuchs vaterlos („im Krieg gefallen“) mit einer Schwester und einer frommen Mutter im Schwarzwald auf. Zu arm fürs Abitur, hieß es. Er lernte Feinwerktechnik in Karlsruhe, trampte durch Europa und machte per Fernkurs sein Abitur nach. Studierte in Berlin und Detmold Klavier und Fagott, stieß dann auf einen Aushang für „Informatik“ als neuen Studiengang: „Das Wort kannte 1968 niemand.“ Er schloss sich einer Gruppe an, die sich mit Bibelübersetzungen beschäftigte, und wurde Computerexperte der Firma Wycliff, die die Bibel in Sprachen übersetzt, in denen es sie bislang nicht gibt. Der Firmenhauptsitz in Holzhausen führte ihn in die Gegend. 1980 geheiratet, zwei Kinder. 1990 das Haus gekauft und renoviert. Drei Jahre später zerbrach die Ehe, der Sohn blieb bei ihm, die Tochter ging zur Mutter in die Nähe von Dortmund.
Traudel: wurde 1951 in München geboren. Die Jüngste von fünf Geschwistern, Realschule, Bankkauffraulehre. Heiratete mit 19 und zog ins Haus der Großmutter nahe Kassel, um sie zu pflegen und die Lehre abzuschließen. Die Ehe hielt drei Jahre („ich war zu jung und zu dumm“). Zurück in München lernte sie den Vater ihrer Tochter Michaela kennen. Die Beziehung hielt nicht lange, ihr Kind war bei der Trennung vier. Über eine Annonce lernte sie ihren zweiten Mann kennen, der auch Rolf heißt und drei Kinder hatte. Hochzeit nach sechs Wochen, 1984 wurde Sebastian geboren, kurz drauf kam ein Pflegekind dazu – mit 32 hatte sie die Verantwortung für sechs Kinder. „Kein gutes Kapitel in meinem Leben“, sagt sie; auf die „ziemlich heftige“ Trennung 1992 folgte ein „richtiger Rosenkrieg“. Sie wurde gläubig, als Sebastian „viel Unsinn“ machte, abhaute, Schulden anhäufte. „Irgendwie hat er doch noch die Kurve geschafft“, sagt Traudel, die mit ihrem dritten Mann nun „zur Ruhe“ gekommen sei.
Das erste Date: „Vor 2003 kannten wir uns nur übers Internet.“ Sie schrieben schon seit einiger Zeit auf der Website jesus.de, als Rolf Traudel zu seinem 65. Geburtstag einlud. An diesem Wochenende „pflückten sie zusammen Himbeeren für die Torte“ und in der Küche gab es den ersten Kuss.
Die Hochzeit: Er machte ihr während des Urlaubs in den Schweizer Bergen einen Antrag. Im Mai 2004 ging’s zum Standesamt, im August fand die „große Hochzeit“ in der „Brothausgemeinde“ in Rosenheim statt. Traudels Kirchengemeinde spendete Kaffee und Kuchen, am Abend wurde gefeiert. Für ein weißes Kleid fand sich Traudel „zu alt“, Freundinnen nähten ihr ein Kleid „an der Tracht angelehnt, in grün und beige.“ Traudel pendelte, bis sie in Rolfs Gegend eine Stelle fand.
Der Alltag: Traudel arbeitet von Montag bis Donnerstag, Aufstehen um 5.30 Uhr, in der Firma von 7 bis 16.30 Uhr. Rolf steht später auf, er frühstückt Müsli und liest dann „nach den Losungen“ in der Bibel. Danach: Haus- und Gartenarbeiten und Saxofon üben; mittags isst er meist alleine oder mit einem ehemaligen Kollegen. „Nachmittags mache ich eine kleine Wanderung: den Berg rauf und zurück.“ Abends kocht vor allem sie. Nach den Nachrichten ergreife Rolf die Flucht, weil Traudel gern „Krimis oder Schnulzen glotzt“, es sei denn, es gibt ein christliches Gespräch auf Bibel TV – dann bleibt er. Freitagvormittag gehen sie beide Turnen, danach gibt es Arzttermine und Rolfs Musikunterricht. Die Samstage sind Haushaltstage („die Putzfrau kommt“), sonntags gehen sie zum Gottesdienst mit anschließendem „Kirchenkaffee“ und Spaziergang („alles ganz gut bürgerlich“).
Wie finden Sie Merkel? Rolf Schieber findet Angela Merkel „manchmal sympathisch“. Traudel bewundert ihre „unglaubliche Energie“, obwohl sie „nicht immer einverstanden ist mit dem, was sie von sich gibt“. Für sie macht die Kanzlerin „nicht viel falsch, sonst würde es uns nicht so gut gehen.“
Wann sind Sie glücklich? Beide sagen, sie seien „meistens glücklich“. Traudel liebt „ein Buch nach getaner Arbeit“; ein Kuss „wie damals in der Küche vor elf Jahren“ macht Rolf glücklich. Und: „Wenn Gott mit mir redet.“
■ Nächstes Mal treffen wir Ingo Sawilla und Michael Franz in München. Sie wollen auch einmal besucht werden? Schreiben Sie an hausbesuch@taz.de