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Archiv-Artikel

„Nichtrauchern fehlt die gemeinsame Utopie“

Gegen Zigarettenqualm kämpft es sich ähnlich schwer wie gegen Hundekot, sagt Protestforscher Dieter Rucht

taz: Herr Rucht, mehr als 70 Prozent der Deutschen rauchen nicht, aber Nichtraucherproteste gibt es kaum. Warum nicht?

Dieter Rucht: Das Rauchen hat immer noch den Nimbus von Lustgewinn, Freiheit und Geselligkeit. Wenn man gegen Raucher angehen will, erscheint man sehr schnell als Moralist und Spielverderber. Nichtraucherprotest ist unsexy.

Die Aktivisten rufen oft nur auf, Protestbriefe an Politiker zu schreiben. Ist das zu brav?

Die Briefe sind ein Zeichen von Schwäche. Man kann für das Problem des Rauchens nicht viele Menschen zum Straßenprotest mobilisieren. Es ist kaum vorstellbar, dass es hierzu Demonstrationen mit 20.000 oder gar 200.000 Leuten gibt.

Greenpeace hängt Banner an Atomkraftwerke, Studierende ziehen sich aus. Was könnten Nichtraucher machen?

Die Rauchgegner versuchen ja manchmal zu dramatisieren, indem sie grässliche Bilder von amputierten Beinen und Raucherlungen präsentieren. Das hatte aber bisher kaum Erfolg. Für eine Protestbewegung fehlen wichtige Voraussetzungen: Nichtraucher bilden anders als Studierende oder Arbeiter keine soziale Kategorie, sie haben auch keine funktionierenden Netzwerke. Und sie vertreten nur ein punktuelles Anliegen, das sich schlecht mit einer beflügelnden Utopie verbinden lässt.

Und wenn sich Rauchgegner zum Beispiel an Zigarettenautomaten ketteten?

Das würde von der großen Mehrheit als lächerlich empfunden. Glaubhafter wäre ein Widerstand der am meisten Betroffenen. Man kann sich schon fragen, warum die Angestellten in Restaurants, Cafés und Bars bisher nicht massiv protestiert haben.

Mal angenommen, alle Kellnerinnen in einer Stadt würden sich absprechen und mit Gasmaske zur Arbeit kommen.

Das wäre eine plastische Form des Protests, würde aber von Chefs kaum goutiert. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass die Angestellten in dieser Branche generell schlecht organisiert sind. Sie sind strukturell vereinzelt, viele sind von heute auf morgen einfach zu ersetzen.

Protest gegen das Rauchen ist also unmöglich?

Es gibt Verhaltensweisen, die objektiv schwer zu rechtfertigen sind, bei denen es aber schwierig ist, dagegen kollektiven Widerstand zu leisten. Das gilt für das Rauchen genauso wie etwa für das Problem des Hundekots auf Fußwegen. Für einen gemeinschaftsstiftenden Protest müsste man auch einen klaren Gegner benennen können, das ist beim Rauchen sehr schwer. Es gibt bei diesem Thema nicht das personifizierte Böse, wie es für viele George Bush beim Protest gegen den Irakkrieg war. Die Kritisierten sind oft die eigenen Freunde oder sogar die eigenen Partner.

Ein idealer Gegner wären die Tabakkonzerne. Warum nicht deren Zentralen besetzen?

Das könnte Wirkung zeigen. Die Gefahr ist aber, den Protest ins Theatralische zu überdehnen. Dann können plakative Aktionen schnell den Eindruck von Sektierertum erwecken. Und mit diesem Lager will die Mehrheit nichts zu tun haben. Das ist bei den militanten Nichtrauchern ähnlich wie bei den Tierrechtlern. INTERVIEW: WOLF SCHMIDT