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Archiv-Artikel

Gesucht: Ein Robin Hood für Kinder

In Bremen versucht ein Untersuchungsausschuss zu klären, warum der zweieinhalbjährige Kevin gestorben ist und welche Schuld Politik und Verwaltung trifft. Das Jugendamt wusste, dass das Kind schon ein Jahr vor seinem Tod misshandelt wurde

aus Bremen Eiken Bruhn

Einen Robin Hood für Kinder wünscht sich der Kinderarzt Volker Rongen-Telscher, einen, der beim Amt angestellt ist, und nur eine Sorge hat: Dass es den Kindern in Bremen gut geht. Und der sie zur Not auch wie ein Held aus der Wohnung holt, ohne Rücksicht auf die Gefühle und Bedürfnisse der Eltern.

So einen hätte Kevin gut gebrauchen können. Er wurde im Oktober tot im Kühlschrank seines drogenabhängigen und gewalttätigen Stiefvaters gefunden. Das Bremer Jugendamt hatte einige Monate, wenn nicht Jahre, zu spät entschieden, ihn in eine Pflegefamilie zu geben. Woran Kevin gestorben ist und wann, ist immer noch unklar. Er wurde etwa zweieinhalb Jahre alt. Der Stiefvater sitzt als mutmaßlicher Täter in Untersuchungshaft und wird sich voraussichtlich nächstes Jahr vor Gericht verantworten müssen.

Warum Kevin nicht früher aus seiner Familie herausgenommen wurde, das versucht seit Montag ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zu klären. Kinderarzt Rongen-Telscher war einer der Zeugen, die gestern vernommen wurden. Eingesetzt wurde der Ausschuss vor allem, um herauszufinden, ob Kevins Schicksal ein Einzelfall war – verursacht durch eine Reihe von Fehlentscheidungen und die Untätigkeit eines Mitarbeiters im Amt für Soziale Dienste. Oder ob es am System liegt, ob es zu wenig Mitarbeiter gibt und ihnen von der Politik vorgeschrieben wird, Kinder aus Kostengründen möglichst in den Familien zu lassen. Und ob man wirklich von einem Hilfenetz sprechen kann, wie es derzeit in aller Munde ist, oder vielmehr, wie der Grüne Abgeordnete Klaus Möhle es ausdrückt, „eine Reihe loser Fäden, die nebeneinander hängen“.

Schon kurz nachdem Kevin gefunden wurde, stand die Antwort fest. Gestern wurde sie bestätigt: Beides trifft zu. Es ist ein extremer Einzelfall und es liegt am System, die Fäden hängen nebeneinander. Mitarbeiter der Klinik, in der Kevin geboren wurde, berichteten, dass sie, sobald er mit seiner Mutter entlassen worden war, nichts mehr von ihm gehört hatten. Obwohl sie die Ersten waren, die vehement dazu rieten, das Kind nicht bei seiner leiblichen Familie aufwachsen zu lassen. Lose blieb auch der Kontakt, den eine Mitarbeiterin der Kommunalen Drogenhilfe zu Kevins Mutter hatte. Sie konnte nicht sagen, ob es einen Standard für den Umgang mit drogenabhängigen Müttern gibt. Und der Kinderarzt wies wie so viele vor ihm darauf hin, dass es zu viele Kinder in Not gebe und zu wenig Mitarbeiter im Amt für soziale Dienste.

Fast alle, die mit Kevin, seiner im November 2005 verstorbenen Mutter und deren Lebensgefährten zu tun hatten, wussten, dass Kevin in einer für seine Entwicklung äußerst ungünstigen bis lebensbedrohlichen Situation lebte. Viele wiesen wie der gestern vernommene Kinderarzt das Jugendamt immer wieder darauf hin. „Kevin wurde ganz klar misshandelt“, sagte Rongen-Telscher. Er habe den Stiefvater verdächtigt. Einige Wochen war Kevin zur Behandlung in einer Kinderklinik. Warum er danach wieder zurück zu seinen Eltern kam, habe er nicht verstanden, sagt Rongen-Telscher. Dieses, und dass er den Stiefvater für den Täter halte, habe er auch dem Sachbearbeiter mitgeteilt. Doch der reagierte immer noch nicht – auch nicht als Kevins Mutter starb, die dem Kind „eine Stütze“ gewesen war, wie es der Kinderarzt ausdrückte.

Warum er nicht mehr unternommen habe, wollten die Ausschussmitglieder immer wieder von Rongen-Telscher wissen. „Haben Sie denn keine Macht, auf das Jugendamt einzuwirken?“, fragt der Ausschussvorsitzende Helmut Pflugradt von der CDU ungläubig. Ein sehr bestimmtes „Nein“ ist die Antwort und die Erinnerung daran, dass die Verantwortung für das Kindeswohl beim Jugendamt liegt und weder er noch eine Klinik den Aufenthalt eines Kindes bestimmen können. „Das ist in Deutschland zum Glück sehr klar geregelt, sonst kämen wir schnell zur Selbstjustiz.“ Im Nachhinein frage er sich aber, ob er nicht das Jugendamt wegen unterlassener Hilfeleistung hätte anzeigen sollen.