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Archiv-Artikel

„Die Verbraucher müssen sich organisieren“

Man kann Konsumenten nicht vorwerfen, dass sie lieber billiges als teures Fleisch kaufen, sagt Thilo Bode von der Verbrauchergruppe „foodwatch“. Die Namen der Hersteller von Gammelfleisch sollten sofort veröffentlich werden

taz: Herr Bode, in Ihrer Telefonwarteschleife läuft ein Lied mit dem Titel „Vergammelte Speisen“. Essen Sie noch Fleisch?

Thilo Bode: Aber sicher. Allerdings kaufe ich nur unverarbeitetes Fleisch. Bei marinierten Koteletts, Gulasch oder Döner kann man sich ja niemals sicher sein, woher es kommt und ob die Qualität in Ordnung ist. Der aktuelle Gammelfleischskandal ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Ein Drittel aller Fleischproben bei den Lebensmittelkontrollen wird beanstandet, die Hälfte davon als gesundheitsschädlich. Der Skandal ist der Normalfall.

Brauchen wir also noch mehr Lebensmittelkontrollen?

Diese Forderung ist bei Fleischskandalen immer populär. Sie zielt aber ins Leere. Ein System, das nicht funktioniert, kann man durch Kontrollen nicht besser machen.

Was schlagen Sie vor – eine Verbraucherrevolution?

Ja. Die Verbraucher müssen sich organisieren. Die Macht der Einkaufskörbe greift nicht, solange der Verbraucher keine Informationen darüber hat, welche Produkte ihm schaden. Derzeit laufen unzählige Verfahren gegen Fleischhändler, aber die Konsumenten erfahren nur im Einzelfall davon. Wir fordern, dass bei allen beanstandeten Fleischproben sofort die Namen der Hersteller, Verkäufer und Weiterverkäufer genannt werden, auch in laufenden Verfahren. Dann haben die Verbraucher ein Machtinstrument: Sie können bestimmte Produkte boykottieren.

Aber liefe man mit einer solchen Anklagepraxis nicht Gefahr, auch Unschuldige zu verurteilen? Schließlich ist die Schuldfrage nicht immer eindeutig zu klären.

Die Schuld ist immer eindeutig! Wer Gammelfleisch verkauft, kauft oder weiterverkauft, verstößt gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Bisher werden die Täter wegen Betrugs verurteilt. Das ist aber der falsche Straftatbestand. Vor allem, wenn Betrüger und Betrogene gemeinsame Sache machen. In meinen Augen handelt es sich um eine kriminelle Vereinigung.

Harte Worte. Aber haben die Verbraucher nicht eine Mitschuld an den Missständen? Wer immer nur auf den Preis schaut, muss sich nicht wundern …

… wenn er schlechte Ware bekommt, meinen Sie? Diesen Unsinn höre ich oft. Es liegt nicht an der Dummheit des Verbrauchers, dass er Gammelfleisch essen muss, sondern an der fehlenden Transparenz auf dem Fleischmarkt. Man kann dem Verbraucher nicht vorwerfen, dass er lieber billiges als teures Fleisch kauft. Zumal es zwischen Qualität und Preis keinen nachweisbaren Zusammenhang gibt. Es stört mich, dass die Diskussion um Gammelfleisch so moralisch geführt wird.

Warum?

Wir brauchen keine Schuldsuche bei den Verbrauchern, sondern politische Antworten auf ein politisches Problem: ein Gütesiegel für konventionelle Fleischprodukte und ein wirksames Verbraucherinformationsgesetz. Sicheres Fleisch für alle ist eine Staatsaufgabe. Auch Käufer von Billigprodukten haben einen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit. Interview: Nina Apin