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Archiv-Artikel

Gedaddel? Arbeit, Sport und Spiel!

NEUE SPIELE 2011 Sie wissen nicht, was Sie mit Ihrer Zeit anfangen sollen? rät: Totschlagen! Und liefert dazu vier Vorschläge

DANIEL SCHULZ

Die Wege des Kapitalismus

Dass die Wege des Kapitalismus direkt in die Hölle führen, zeigt nicht nur die Linkspartei – sondern auch „Diablo 3“. Offiziell ist das Ziel des Spiels, die Welt vor dem Bösen zu retten, indem man sich durch zahllose Monsterhorden schnetzelt, zwischendrin immer mal wieder einen von der mittleren Leitungsebene der Finsternis killt und irgendwann den Obermotz kaltmacht.

Tatsächlich muss der Held hordenweise Eingeborene meucheln, die entweder halbverhungert sind (Skelette) oder einer Naturreligionen huldigen (Dämonen und Kultisten). Und warum? Um immer mehr Gold, Edelsteine, Rüstungen und Waffen aufzuklauben. Die Maxime des Spiels ist weniger: Besiege das Böse, sondern: Folge deiner Gier!

Die Früchte seiner Raubzüge investiert man in die eigene Wirtschaft. Drei Handwerker begleiten den Charakter und stellen Ausrüstung für ihn her. Deren Läden lassen sich nach und nach verbessern.

Diablo führt klar vor Augen, dass Spielen heute nichts anderes als Arbeiten ist. Als Barbar, Mönch, Zauberer oder Dämonenjägerin hecheln die Spielenden von Erfolgserlebnis zu Erfolgserlebnis. Das ist fesselnd, weil im Spiel der eigene Aufstieg rasanter zu bewerkstelligen ist als im realen Leben.

Zehn Jahre mussten Fans auf den dritten Teil der Serie warten, Teil 2 gilt als eines der erfolgreichsten Werke aller Zeiten. Dessen Ruf wollten die Entwickler der Firma Blizzard nicht durch Fehler ruinieren und ließen sich viel Zeit, eventuell kommt das Spiel sogar erst 2012.

Trotzdem zeigt es eines nicht: Zu viel Gier kann einen mehr kosten als nur das Leben. Dafür muss man sich schon das noch in diesem Monat erscheinende „Dungeons“ kaufen, welches das Szenario quasi aus der anderen Perspektive zeigt.

Als böser Lord lässt man Helden in seine Höhle, dort mit den hauseigenen Monstern balgen und Schätze finden. Haben sie das eine Weile getan, sind sie glücklich. Das ist der Zeitpunkt, um sich mit aller Macht auf sie zu stürzen und sie zu „ernten“. Es ist ihre Seele, die man nimmt, und je freudiger sie war, desto stärker wird das Böse.

Die Überwindung der Moral

Ein Spiel für Menschen, die die Umwelt kaputt machen und sich dabei schlecht fühlen – also was für taz-Leser.

Held der Geschichte ist Geralt, ein zynischer, mit Magie und Drogen aufgemotzter professioneller Monsterjäger. Menschen rufen ihn, um Vampire oder Drachen zu erlegen, nach dem Job fürchten und verachten sie ihn wieder für seine Andersartigkeit. Geralt wiederum mag sich selbst und seinen Beruf nicht sonderlich, weil es ihm zuwider ist, die Welt ihrer Wunder zu berauben, seien die auch noch so gefährlich.

Sein Dilemma: Er kämpft dafür, die Natur den Menschen ein für alle Mal untertan zu machen. Und die sind keine Sympathieträger. Es sind oft genug Rassisten, die Elfen und Zwerge in Ghettos sperren – mit einem zünftigen Pogrom ab und an. Es sind Bigotte, deren Kirche Barmherzigkeit predigt und dann die tötet, die ihr nicht genehm sind. Das Spiel kommt übrigens aus Polen – es basiert auf einer dort und inzwischen auch hier erfolgreichen Romanreihe.

2011 ist das Jahr der großen Fortsetzungen – in Sachen Rollenspiel haben bekannte Namen neue Auftritte, zum Beispiel „Dragon Age 2“, „Elder Scrolls 5“ und „Mass Effect 3“. Einen großen Reiz des Genres macht das Treffen moralischer Entscheidungen aus, die immer neue Wahl zwischen Gut und Böse und entsprechende Folgen in der Spielwelt. Das Besondere bei „The Witcher“ ist, dass hell und dunkel selten relevante Kategorien sind.

Tötet man den schönen Sukkubus, der sich von Keuschheit heuchelnden – siehe Kirche –, aber sexuell ausgehungerten Dorfbewohnern ernährt? Oder glaubt man dem Dämon, dass er eben auch von irgendwas leben müsse. Sind rebellierende Elfen Freiheitskämpfer? Oder Terroristen, weil bei ihren Anschlägen auch Unschuldige sterben?

Zugleich ist Rollenspiel auch immer Barbie-Play, bei dem auch nicht gegenderte Jungs begeistert mitmachen dürfen. Diskussionen darum, welcher Helm schöner aussieht oder warum diese eine Rüstung trotz ihrer tollen Werte überhaupt mal gar nicht geht, weil sie stulle designt ist, füllen millionenfach die Internetforen dieser Welt.

Abschied vom Großprojekt

Ob Großflughafen Berlin oder Großbahnhof Stuttgart – Großprojekte sind out. In den Vorgängern aus der „Total War“-Reihe sollte man die halbe Welt, Nordamerika oder Europa erobern, doch „Shogun 2“ beschränkt sich auf das überschaubare Japan. „Total War“-Werke sind Strategiespiele, das heißt, man hebt Armeen aus, nimmt Städte ein, baut dort, um seine Herrschaft zu festigen und Ressourcen zu bekommen, und zieht dann weiter. Als Vorbild für die Kampagnen dient die Geschichte selbst, so unterwarf man beispielsweise in „Rome“ die den Europäern damals bekannte Welt.

Shogun 2 ist räumlich kleiner angelegt, wird aber zeigen, dass auch in abgespeckten Großvorhaben noch genug Details stecken, mit denen man sich lange beschäftigen kann.

Wie für Geschichtsspiele typisch sind Einzelheiten wie Rüstungen und Waffen der Krieger korrekt der Vergangenheit nachgebildet, ebenso der Einsatz der Einheiten.

Und kann so ein Spiel Geschichte lehren? taz-Autorin Nina Ernst hat sich diese Frage auch schon einmal gestellt und kam beim Auswerten einer Studie zu dem Ergebnis: wohl eher nicht. Grund: Der größere historische Zusammenhang und der Alltag der lebenden Menschen kommen dabei zu kurz (taz vom 29. November 2010). Nun könnte man das der Geschichtswissenschaft bis zum Auftauchen der Annales-Schule an der Wende zum 20. Jahrhundert auch vorwerfen – erst sie richtete die Perspektive auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen und längere Zeiträume. Vorher bestand Historie vor allem aus Königen und Schlachten. Aber „Total War“ leistet mehr als das. Es blendet den Alltag des Bauern als nicht spielrelevant aus, zeigt aber größere Zusammenhänge und so etwas wie einen Volkswillen, wenn man beispielsweise bestimmte Dinge bauen muss, um die Untertanen zufrieden zu stellen. Somit – und zu diesem Ergebnis kommt auch die erwähnte Studie – können solche Spiele auf jeden Fall Interesse an Geschichte wecken. Ein Gymnasium im Ruhrgebiet setzt „Total War“ deshalb als ergänzendes Element im Unterricht ein.

Was den Menschen zum Menschen macht

Das Spiel zu Wikileaks. Denn hier ist die Verschwörung alles und ihre Aufdeckung nur das erste Stück eines neuen Rätsels.

„Deus Ex“ ist wie „The Witcher“ ein Rollenspiel. Part 3 könnte nun den Schwerpunkt von der Geschichte weg mehr auf Action legen. Während „Witcher“ nur infrage stellt, was gut und böse ist, täuscht „Deus Ex“ SpielerInnen zusätzlich darüber, für wen sie eigentlich arbeiten. Manipuliert einen die Gruppe, der man einen Gefallen tut, und steckt hinter dieser eine weitere, welche wirklich die Fäden zieht?

Liebgewinnen lassen sich die agierenden Mächte allesamt nicht. In Teil 2 beispielsweise konnte man sich letztlich entscheiden zwischen einer computergesteuerten wohlmeinenden Diktatur, einer Art Mittelalter und einem Kapitalismus heutiger Prägung. Das Spiel wurde mit den Fäden des zukunftsskeptischen Cyberpunk gewoben.

Wie in den beiden Vorgängern spielen auch in Teil 3 neue Technologien eine Rolle. Hier geht es um Biotechnologie und darum, wie weit der Mensch sich verbessern darf, bevor er aufhört, Mensch zu sein. Und ob es schlimm wäre, würde er etwas anderes. Weil es um Geheimnisse geht, kommt dem Hacken eine große Rolle zu.

Obwohl „Deus Ex“ spielerisch große Freiräume bietet, wird es wohl auf wenige Schauplätze begrenzt bleiben. Das ist gut, weil es eine Zeit gab, in der Spielewelten auf gigantische Maße mit zu vielen Aufgaben wuchsen, sodass man sich in ihnen verlief und auch nicht mehr wusste, warum man tat, was man gerade tat. Wenn man sich am Computer noch verlorener vorkommt als im echten Leben, dann läuft etwas gewaltig schief.

Interessant wird sein, inwiefern die Macher die neuesten Entwicklungen der Science Fiction erkannt haben, die sich von der Konzentration auf Amerika, Europa und Japan lösen. Haben sie sich beispielsweise vom Schriftsteller Ian McDonald beeinflussen lassen, dessen Geschichten in einem künftigen Indien angesiedelt sind? Die bisher bekannten Schauplätze des Spiels sind Detroit, Montreal und Schanghai – also ist zumindest China mit an Bord.