„Der Tiger geht leise“
Es ist Zeit für eine unangepasste, junge Frau bei den Grünen. Zeit für Julia Seeliger. Aber warum wird sie sofort als „grüne Pippi Langstrumpf“ verspottet?
INTERVIEW JENS KÖNIG
taz: Wie fühlen Sie sich denn so als grüne Pippi Langstrumpf, Frau Seeliger?
Julia Seeliger: Gut. Super. Pippi Langstrumpf ist eine tolle, zeitlose Figur. Sie ist stark und kreativ.
Aber Pippi Langstrumpf ist auch nicht von dieser Welt. Genau das meinte ja Ihr Parteifreund Matthias Berninger, als er Sie so bezeichnete. Das war als Beschimpfung gedacht.
Ich weiß. Aber ich nehme das als Kompliment. Dieses Unkonventionelle, Spielerische, Kreative – das gehört einfach zu meiner Persönlichkeit dazu.
Die meist männlichen Verfasser der Artikel über Sie würdigen Ihr Schuhwerk (martialisch), Ihre Strumpfhose (löchrig) und Ihren Rock (kurz).
Ist doch sehr aufschlussreich, oder? Ich habe das auch gleich durch die Gender-Brille gesehen. Einem Mann wäre so etwas nicht passiert.
Fast vorwurfsvoll wird in den Texten noch hinzugefügt, dass Sie jung und hübsch seien.
Das hat mich nicht gestört. Ist doch okay, wenn die Leute sagen, dass ich jung und hübsch bin. Geärgert haben mich ganz andere Sachen.
Welche?
Dass mir Journalisten, die nicht ein einziges Mal mit mir geredet haben, politische Substanzlosigkeit vorwerfen.
Letztes Klischee: Ihre angeblich spontane Kandidatur zum grünen Parteirat soll in Wahrheit ein getürkter Sponti-Auftritt gewesen sein. Ein Journalist der „Zeit“ hat vom Fernsehsessel aus beobachtet, wie Sie auf dem Parteitag in Köln vor einem Seiteneingang auf und ab liefen und Ihre Rede und Ihre Gesten sorgfältig einstudierten – „wie ein Schmierenschauspieler“, schrieb er.
Oh Gott, ja, dieser Text von Robert Leicht. Der hat mich sehr gewundert. Man muss doch eine Rede auch mal üben, bevor man sie hält. Ich wollte ja einen guten Auftritt hinlegen, ich wollte gewählt werden. Meine Kandidatur war jedenfalls nicht geplant. Ich habe mich erst in Köln dazu entschlossen. Ich hatte im Vorfeld des Parteitages mal kurz daran gedacht, die Idee dann aber wieder verworfen. Sie schien mir zu verrückt. Na ja. Aber mit dem Herrn Leicht habe ich inzwischen telefoniert.
Er hat Sie angerufen?
Nein, ich habe ihn angerufen und gesagt, dass ich gern mit ihm sprechen würde. Ich finde es wichtig zu reden, wenn man denkt, dass der andere ein völlig falsches Bild von einem hat.
Na dann, herzlich willkommen im politischen Betrieb in Berlin!
Mit einem bisschen Aufregung um meine Person hatte ich ja gerechnet. Aber auf einen solchen Hype war ich nicht vorbereitet. Ich habe die Presse unterschätzt. Inzwischen kenne ich mich aber ein bisschen besser mit den Feinheiten des Medienbetriebs aus.
Wie lautet die Regel Nummer eins? Handy abschalten?
An dem Tag, an dem die Bild-Zeitung groß über mich berichtete, bin ich tatsächlich nicht mehr ans Handy gegangen. Gott sei dank hat sich das mittlerweile wieder normalisiert. Die Journalisten schauen jetzt genauer hin und nehmen meine Positionen nicht nur als schrille Thesen war.
„Bild“ hat nichts durchschaut. „Diese Grüne will die Ehe abschaffen“, lautete die Überschrift eines Textes über Sie. Dann zitierte das Blatt ein Papier der Grünen Jugend: „Viel mehr als die bürgerliche Ehe wünschen sich viele Menschen Beziehungen auf Zeit, Beziehungen mit mehr als einer Person, Freundschaften mit Sex.“
Mal abgesehen davon, dass die gesamte Grüne Jugend die Abschaffung der Ehe bereits 2004 gefordert hat – was soll daran falsch sein? Wir führen in unserem Jugendverband seit längerem eine Debatte über Frauen und Geschlechtergerechtigkeit. In diesem Zusammenhang treten wir dafür ein, dass die unnötige Privilegierung der Ehe, beispielsweise durch das Ehegattensplitting, abgeschafft wird. Wir sind außerdem der Meinung, dass Monogamie keine Lösung ist. Es geht um Beziehungskonzepte, in denen Menschen füreinander einstehen, unabhängig von ihrem Alter und ihrem Geschlecht. Warum sollen nicht mehr als zwei erwachsene Personen zusammenleben? Sich darüber zu empören, ist billig. Typische Doppelmoral der Konservativen.
Die erste Sitzung des Parteirats haben Sie inzwischen hinter sich gebracht. Wie war’s?
Gut. Ich habe mich vorgestellt und gesagt, dass ich ein kritischer Geist bin. Ich habe aber auch klargemacht, dass ich mich an die Regeln halten möchte. Der Tiger geht ja auch auf leisen Pfoten und ist trotzdem ein gefährliches Tier.
Wie gefährlich sind Sie denn?
Ich möchte meine Energie in politische Projekte investieren. Die neuen Medien und die Wissensgesellschaft interessieren mich. Da besteht die Gefahr, dass Bürgerrechte abgebaut werden, beispielsweise durch die Vorratsdatenspeicherung. Und ich will mich für eine moderne Frauen- und Familienpolitik einsetzen.
Klingt nicht gerade nach Tiger.
Ich, äh … das ist so witzig …
Was?
Das kann ich jetzt nicht sagen …
Sie kontrollieren sich ja schon.
Nein, nein, ich rede frei von der Leber weg, aber … Ich wollte nicht gemein sein.
Sie wollten sagen, dass Sie nicht so angepasst sind wie Berninger?
Ich will nicht mehr über Matthias Berninger reden. Ich möchte ihm auch nichts Böses wünschen, jetzt, wo er aus der Politik aussteigt und bei Mars gegen dicke Kinder kämpft. Aber nach seinem Pippi-Langstrumpf-Vorwurf hätte ich schon gern einiges klargestellt …
Die Grünen sind mittlerweile eine straff durchorganisierte, professionelle, angegraute Partei. Passt eine junge, unangepasste Frau wie Sie überhaupt noch dahin?
Ja. Das ist meine Partei. Sie ist in weiten Teilen auch nicht so angepasst. Das Individualistische ist ein wesentlicher Charakterzug der Grünen geblieben. Das passt zu mir.
Sie haben nichts zu kritisieren?
Das habe ich nicht gesagt. Mir ist schon klar, dass in Gruppen, in denen Macht zu verteilen ist, sich immer Missgunst breitmacht. Deswegen finde ich es auch schade, dass die Grünen das Rotationsprinzip abgeschafft haben. Einen Wechsel beispielsweise nach acht Jahren im Parlament halte ich für ein gutes Instrument demokratischer Selbstregulierung. Das hört sich vielleicht abgespact an. Aber ich merke jetzt schon, wie Politik mein Denken beeinflusst.
Inwiefern?
Ich schwimme manchmal zu sehr im eigenen Saft. Das Nachdenken über grüne Politik nimmt sehr viel Platz in meinem Kopf ein. Ich brauche aber auch die kreativen Einflüsse von außen.
Politik ist kein Job fürs Leben?
Ich stelle mir mein Leben nicht so vor, dass ich die ganze Zeit nur Parteipolitik mache. Auf diesen Satz kann man mich später ruhig festnageln. Ich will mein Leben so organisieren, dass ich auch Zeit für andere Sachen habe. Ich will meinen Beruf ausüben, ich will auch mal ins Ausland gehen.
Sind die Grünen eine linke Partei?
Klar. Die ökologische Frage ist eine total linke Frage. Das ist mehr als Naturschutz. Dabei geht es um das blanke Überleben von Menschen. Wenn ich Gerechtigkeit zwischen den Menschen nicht nur national, sondern international definiere, dann ist Ökologie urlinks, linker geht’s gar nicht.
Ihre Wahl in den Parteirat wurde von vielen als Linksschwenk der Basis gedeutet. Trifft das zu?
Weiß ich nicht. Ich jedenfalls will mich dafür einsetzen, dass wir weiterhin links-alternativ verortet bleiben.
Passen dazu die ganzen Debatten über die Machtoptionen der Partei, über Schwarz-Grün, die Ampelkoalition, die Jamaika-Koalition?
Ich bin nicht so ideologisch drauf, dass ich sage, es muss diese oder jene Koalition sein. Und zum jetzigen Zeitpunkt halte ich diese ganzen Diskussionen sowieso für überflüssig. Wenn wir 2009 gewählt haben, kann man darüber verhandeln. Aber dann ist die Reihenfolge einzuhalten: Erst reden wir darüber, was wir als Partei wollen. Dann reden wir darüber, mit welcher Koalition wir was umsetzen können.
Würde Schwarz-Grün auf Bundesebene heute funktionieren?
Nein, sehe ich nicht. Sozialpolitik, Integrationspolitik, Energiepolitik – da sind wir viel zu weit auseinander.
Mit der SPD ginge mehr?
Na ja, ich bin jetzt nicht megaüberzeugt von der SPD. Sie ist eine strukturkonservative Partei. Ich habe viele konservative Freunde, mit denen ich mich besser verstehe als mit Sozialdemokraten. Aber ich bin pragmatisch genug, um zu sehen, dass man in der Politik Kompromisse machen muss. Das hat mit der SPD ganz gut geklappt.
Rot-Grün war ein Erfolg?
Ja. Wegen des Atomausstiegs, wegen der Ökosteuer und vieler anderer Sachen.
Als Schröder und Fischer an die Macht kamen, waren Sie gerade mal 19 Jahre alt.
Ja, und ich fand Rot-Grün gut.
Sie waren für den Kosovokrieg?
Nein. Die Zustimmung zum Kosovokrieg war ein Schock. Den Bielefelder Parteitag 1999 habe ich im Fernsehen gesehen.
War Joschka Fischer ein Idol für Sie?
Als ich mich noch nicht so gut in der Politik auskannte, fand ich ihn sehr gut. Je mehr ich bei den Grünen mitmachte, desto kritischer wurde ich Fischer gegenüber. Seine Übermacht hat die Partei erdrückt. Ich mag prinzipiell keinen Heldenkult. Ich mag auch kein rhythmisches Klatschen auf Parteitagen. Da dreht sich mir alles im Magen um.
Was treibt junge Menschen heute überhaupt noch in die Politik?
Wenn mich etwas stört, will ich das verändern. Ich will nicht nur meckern. Jeder Mensch kann doch ein Politiker sein, auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Der eine geht in die Partei, der andere schreibt einen Blog, ein dritter macht bei einer NGO mit.
Politik ist unsexy, Politik ist langsam, Politik ist immer Kompromiss. Was reizt Sie daran?
Es gibt ja Leute, die sagen, der Fortschritt setzt sich eh durch. Daran glaube ich nicht. Außerdem gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen von Fortschritt. Wenn ich meinen Teil dazu beitrage, dann geht es ein bisschen mehr in die Richtung, die ich mir vorstelle.
„Monogamie ist keine Lösung. “