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Archiv-Artikel

Mordanklagen gegen US-Marines

Weil sie 24 unbewaffnete irakische Zivilisten in Haditha umgebracht haben sollen, stehen vier US-Soldaten unter Mordanklage, weitere unter Vertuschungsverdacht. Das Massaker war erst durch Medienrecherchen bekannt geworden

AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF

Die US-Militärjustiz hat, rund ein Jahr nach einem Massaker an 24 Zivilisten in der irakischen Stadt Haditha, gegen vier US-Marineinfanteristen Mordanklage erhoben. Vier weiteren Soldaten, darunter einem Leutnant, lastet sie an, das Blutbad nicht ausreichend untersucht und Informationen darüber zurückgehalten zu haben, teilte das Marineinfanteriekorps am Donnerstag in Camp Pendleton im US-Bundesstaat Kalifornien mit. Die schwersten Vorwürfe richten sich gegen den 26 Jahre alten Truppführer Frank Wuterich, der des Mordes in insgesamt 13 Fällen angeklagt ist. Der Feldwebel soll seinen Soldaten auch befohlen haben, Iraker zu töten.

Das Massaker an den Irakern, darunter 10 Frauen und Kinder, war erst Monate nach dem Vorfall durch Recherchen des US- Magazins Time in die Öffentlichkeit gelangt. Zuvor hatten die Streitkräfte lediglich mitgeteilt, 15 Iraker seien in Haditha bei einer Explosion ums Leben gekommen. Die Nachricht des Massakers löste Empörung in der US-amerikanischen Öffentlichkeit aus. „Das ist schlimmer als Abu Ghraib“, kommentierte der demokratische Abgeordnete John Murtha im Frühjahr mit Blick auf den Folterskandal im Bagdader Gefängnis. Außenministerin Condoleezza Rice sprach von einem „fürchterlichen Schandfleck“, sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten.

Den anderen drei angeklagten Soldaten im Alter zwischen 22 und 25 Jahren wird ebenfalls Mord in mehreren Fällen angelastet. Da die Anklage auf Mord im Affekt lauten, droht allen vier bei einer Verurteilung als Höchststrafe lebenslange Haft, nicht jedoch die Todesstrafe. Die Anklage gilt als ungewöhnlich scharf. „Das illustriert, wie ernst die Marine Corps diesen Fall nehmen,“ sagt Gary Solis, Jura-Professor an der Georgetown University in Washington. Die Anwälte der angeklagten Soldaten weisen die Vorwürfe nach Angaben der Washington Post zurück. Ihre Darstellung ist, dass die Marineinfanteristen angegriffen worden seien und entsprechend hätten reagieren müssen.

Zeugenaussagen zufolge hatten die Soldaten am Morgen des 19. November 2005 mehrere Häuser in der 200 Kilometer nordwestlich von Bagdad gelegenen Hochburg der sunnitischen Aufständischen gestürmt. Auslöser des aggresiven Vorgehens der US-Soldaten soll der Tod eines jungen Marineinfanteristen gewesen sein, den kurz zuvor eine Bombe am Straßenrand zerfetzt hatte.

Nach der Explosion sollen die Soldaten das nächstgelegene Haus erstürmt und gnadenlos alle sieben Menschen darin erschossen haben, darunter ein 76 Jahre alter Schwerstbehinderter und ein vierjähriges Kind. Zeugen berichteten, dass im Nachbarhaus danach eine Familie mit sieben Kindern getötet worden sei. Vier weitere Männer seien in einem anderen Haus erschossen worden, kurz darauf ein Taxifahrer und seine vier Fahrgäste. Nach dem Blutbad hätten die Marineinfanteristen die Leichen von 24 Irakern ohne Erklärung in einem Krankenhaus abgeliefert.

Nach Angaben der Washington Post wurden inzwischen 10 US-Soldaten angeklagt, im Irak Zivilisten ermordet zu haben. Seit Kriegsbeginn im März 2003 hat es 64 Anklagen gegen US-Militärpersonal gegeben, in 18 Fällen wurden Gefängnisstrafen verhängt.