Die Rentiere finden kein Futter mehr

Schweden erlebt einen außergewöhnlich warmen Winter. Weil sich Regen und Frost abwechseln, liegt eine Eiskruste auf den Weiden. Die Rentiere der samischen Minderheit kommen nicht an das Gras heran. 50.000 sind vom Hungertod bedroht

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Auch das Zugtier des Weihnachtsmanns leidet unter dem Klimawandel. Statt knalliger Kälte und Pulverschnee ist es in Nordschweden viel zu warm. Seit sechs Wochen wechselt das Wetter zwischen Schnee, Regen und Frost. Die Folge: Ein dicker Eispanzer bedeckt viele traditionelle Winterweiden. Die Rentiere können die harte Kruste mit ihren Hufen nicht öffnen, um an die darunter liegenden Flechten heranzukommen. Nun haben die samischen Rentierzüchter Lapplands Alarm geschlagen: 50.000 der 270.000 schwedischen Rentiere seien vom Hungertod bedroht.

In der nordschwedischen Provinz Norrbotten sind zwei Drittel der üblichen Winterweiden unbrauchbar geworden. Die Züchter wurden mit ihren Herden vom Amoklauf des Wetters überrascht. In den letzten Wochen versuchten viele ihre Herden zusammenzutreiben und mit Lastwagen aus dem Binnenland in die Küstenregion zu schaffen, wo es noch Weide gibt. Doch die reicht längst nicht für alle Tiere. Die hungernden Rentiere an Ort und Stelle mit herangeschafftem Heu und anderem Futter zu versorgen, ist nicht nur teuer. Denn Rentiere sind selbstständige Tiere. Finden sie kein Futter, breiten sie sich über weite Gegenden aus und erschweren es ihren Eigentümern so, sie wieder zusammenzutreiben, in Gehegen einzusperren und dort zu versorgen.

Vom Flugzeug aus versuchen die Provinzverwaltungen sich derzeit eine Übersicht zu verschaffen, wo es noch Flächen gibt, an denen Winterweide möglich ist und wo nicht. Gustav Gustavsson von der Einheit für Rentierwirtschaft der Provinz Jämtland klagt, dass eigentlich geeignete Flächen ausgerechnet in Gegenden liegen, wo es andere Hindernisse gibt, diese für die Rentiere zu öffnen. Entweder weil dort frische Forstanpflanzungen liegen, die die Tiere zerstören würden, oder weil sich dort durch die Nachbarschaft von Wölfen nur neue Konflikte abzeichnen würden.

Für die 2.000 von der Rentierzucht lebenden Samen ist das Terrain für ihre Tiere im Laufe der Jahre immer mehr geschrumpft. Durch neue Verkehrsinfrastruktur und die Ausbreitung der Landwirtschaft, vor allem aber durch die Forstwirtschaft, die sich in bis dahin unberührte Waldgebiete ausdehnte. Gerichte haben in mehreren Verfahren beim Streit zwischen Rentierzüchtern und den Eigentümern von Grund und Boden für Letztere entschieden: Diese mussten die Beeinträchtigung, welche weidende Rentiere anrichteten, nicht hinnehmen. Die in Lappland lebende Minderheit der Samen wird kritisiert: Ihre Herden seien für die vorhandenen Flächen zu groß geworden.