Woohoo, Eehee und Hoo

POPKÖNIG Von Michael Jackson ist das erste Album aus dem Nachlass erschienen. Produziert hat er es nur zum Teil. Und wer singt da eigentlich? Lebt der King am Ende doch noch?

„Michael“ bietet alles, was Michael Jackson je musikalisch ausdrücken wollte

VON JENNI ZYLKA

Verschwörungstheorien sind doch was Feines: Wenn man die Buchstaben aus „Michael Jackson“ neu zusammenpuzzelt, bekommt man in etwa das Anagramm Jason Malachi. Malachi ist, das nebenbei, der Name eines jüdischen Propheten, Jason der eines griechischen Helden.

Jason Malachi, über den es keinen Wikipedia-Eintrag gibt und der keine Homepage hat, kann man sich auf drei verschiedenen Fotos im Internet angucken, eines davon stammt angeblich vom Cover von Malachis CD „Critical“. Darauf schaut ein junger Italoamerikaner mit Damon-Albarn-Frisur und schnafte kajalumrandeten Augen mit Schlafzimmerblick in die Kamera. Kaufen kann man die CD allerdings nirgends, und nur ein einziger Track ist als MP3 downloadbar.

Dieser ominöse Malachi kommt entweder aus Silver Spring, Maryland, oder direkt aus Italien und hat laut unterschiedlicher Gerüchte einen bis mehrere Songs auf dem posthum veröffentlichten letzen Michael-Jackson-Album „Michael“ eingesungen. Oder es gibt ihn überhaupt nicht. Oder, und das ist die poetischste Möglichkeit, er ist er nur einer von Jacksons Avataren, die dieser sich über die Jahre erschaffen hat, um unauffällig Musik schreiben und singen zu können.

Schließlich: Besser kann man ein Album nicht in der tendenziell gelangweilten Öffentlichkeit platzieren als mit einem handfesten Skandal. Wer denn nun „Breaking News“ gesungen hat, das im November letzten Jahres, vier Wochen vor der offiziellen Veröffentlichung, als erster Song der „Michael“-Trackliste ins Netz leakte, ist tatsächlich schwer auszumachen: Wer auch immer es war – er klingt wie MJ. Er stöhnt wie MJ. Er vibriert in einer hohen, lebendigen Stimmlage wie MJ.

Sogar der beleidigte Grundton des Texts passt zu MJ: „Alle wollen sehen, dass ich hinfalle, denn ich bin Michael Jackson“, klagt der Sänger. „Du schreibst die Worte, um zu zerstören, als ob es Waffen wären“, richtet er sich etwas später an die Medien, seine Hassgeliebten, die vor allem in des Popkings letzten Lebensjahren stets aufgekratzter auf Missbrauchsvorwürfe und Säuglingshaltungsinkorrektheiten reagierten als auf neue Songs.

Dabei ist das Album „Michael“, seit Dezember auch legal käuflich, eine richtig amtliche MJ-Platte geworden, ob nun ein real existierender Italo-Checker ein paar Songs sein Timbre ausgeliehen hat oder nicht. „Michael“ bietet alles, was MJ je musikalisch ausdrücken wollte: Woohooo, Eeeheee und Hoo, Beat, Keyboardteppich und saubere Gitarrensoli, zwei romantische Balladen voller Kitsch, Klischees und Aufmunterungsprosa („Best of Joy“, „Keep Your Head Up“), eine cleane Abrocknummer, bei der nicht nur Lenny Kravitz mitgesungen und gespielt und dann zu Ende produziert hat, sondern auch noch Dave Grohl am – gleichsam wie aus der Konserve klingenden – Schlagzeug sitzt („I can’t make it another day“), ein bisschen bei „Billie Jean“ geklaute designierte Hits („Breaking News“, „Monster“), ein Yellow Magic Orchestra-Cover für die musikalische Intellektualität („Behind the Mask“), und eine fantastische Motownnummer („I like the Way You Love Me“), die Stevie Wonder auch nicht anders arrangiert hätte. Oder Papa Jackson, damals, als noch alle Söhne mit ihm sprachen.

Backgroundgesänge streicheln den Hintergrund des Songs mit weichen Kükenfedern aus, davor schwebt ein Flötenriff, während Jackson mühelos Tonart um Tonart nach oben klettert. Und wenn das tatsächlich nur, wie die Plattenfirma vorsorglich anmerkt, die „Guide Vocals“, also die mal eben zur Musikaufnahme eingesungene vorläufige Gesangsspur sein sollte, strahlt umso heller auf, was Jackson mal ursprünglich zum King machte: Wenn er etwas abliefert, ist es immer spitzenmäßig. Auch in Sound und Stil bleibt das Album ganz nah am gebeutelten Künstler. Das Cover ist schlimme Rock-Art mit einer gekrönten Michael-Büste, und wer bei „Behind the Mask“ den Saxofonisten reingelassen hat, sollte standrechtlich erschossen werden.

Wie um weitere Verschwörungstheorien anzurühren, hat der 1979 geborene Sänger und Tänzer Ne-Yo, dessen Album ebenfalls eine große Nähe zu MJ nachgesagt wird, gerade einen Song namens „Beautiful Monster“ veröffentlicht, in dessen Videoclip er ein paar von Michael Jacksons Schritten kopiert, tatsächlich ab und an zwischen den Zeilen jenen tonlosen, groovy MJ-Stöhner hören lässt und auch sonst ein kleines bisschen wie sein Vorbild klingt.

Gespannt wartet man auf die ersten ernstzunehmenden und medienwirksamen Zweifel an Michael Jacksons Tod. Vielleicht hat sich der traurige Exprinz mit den Haut- und Identitätsproblemen einen kompletten Körper gekauft, puzzelt an neuen Anagrammen, wohnt unbehelligt in Hollywood und hebt ab und an große Summen von einem Nummernkonto ab. Gönnen würde man es ihm.

■ Michael Jackson: „Michael“ (Sony)