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Archiv-Artikel

Der Spielball

Vor acht Wochen sollte Hakan Calhanoglu den HSV retten. Niemand gab mehr einen Pfifferling auf den Klassenerhalt, da wurde der 20-Jährige als letzter Hoffnungsträger nach vorne geschoben „ Klar spüre ich Druck, weil alle Augen plötzlich auf mich gerichtet sind“, sagte er zu seiner neuen Verantwortung. „Aber ich lasse das gar nicht zu nahe an mich heran. Auf dem Platz mache ich mir einfach keine Gedanken.“ Eine Antwort, die er heute – wo noch wesentlich mehr Augen auf ihn gerichtet sind – nicht mehr geben würde. Zum Trainingsbeginn des HSV am vergangenen Mittwoch schickte er die Krankschreibung einer Heidelberger Psychologin.

Es ist gerade mal zwei Jahre her, dass von Karlsruhe aus die Mär von einem ungewöhnlich begabten Fußballer durch die Republik zog, der die Menschen im Südwesten mit brillanter Schusstechnik verzaubere. Die halbe Bundesliga wollte dieses Juwel und zunächst sah es danach aus, als würde Werder Bremen das Rennen machen. Aber dann war Werders Ex-Manager Klaus Allofs zu zögerlich und plötzlich hieß es: Hakan geht zum HSV, muss aber erst noch den KSC in die 2. Liga schießen. Nachdem der Auftrag erfüllt war, wechselte er fast zeitgleich mit dem neuen Sportdirektor Oliver Kreuzer von Baden nach Hamburg.

Als Kreuzer im Februar verkündete, Calhanoglu habe seinen Vertrag gar bis 2018 verlängert, überlagerte die Meldung kurz die aktuelle Misere: Da schien eines der größten deutschen Kickertalente an die Zukunft des HSV zu glauben. Umso irritierter war die Öffentlichkeit, als sein Berater ausgerechnet vor dem entscheidenden Relegationsspiel gegen Greuther Fürth verkündete, dass sein Schützling nach Leverkusen wechseln wolle.

Kaum war der Klassenerhalt gesichert, bestätigte Calhanoglu dieses Ansinnen: Er wolle ein neuer Messi werden, das könne er beim HSV nicht. Ob jemand vom HSV mit Leverkusen verhandelt hat, ist unklar. Stand heut: Der HSV pocht auf Vertragserfüllung, während Bayer Leverkusen und Calhanoglu sich schon auf eine Zusammenarbeit geeinigt haben. Viele HSV-Fans sind enttäuscht von ihrem einstigen Hoffnungsträger und beschimpfen ihn im Internet und den Leserbriefspalten der Boulevardpresse. „Es wird schwierig für mich, wenn ich sehe, wie viel Wut und Hass da sind. Man weiß ja, wozu einige Menschen in der Lage sind“, sagte Calhanoglu.

Viel Gezerre für einen 20-Jährigen, dem einige den Kopf verdreht haben. Fußballer – eine Traumkarriere? Nur wenn man so viel Standing hat, gierige Berater- und Vereinsinteressen sowie tumbes Stammtischgehetze einigermaßen abzufedern. Hoffentlich lassen alle mal locker und geben dem Jungen Zeit für eine ausgereifte Entscheidung. RALF LORENZEN