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Archiv-Artikel

Verdacht der Affirmation

GROSSGÖRSCHEN 35 Kaum verbunden, schon wieder auseinander: Die kurze Geschichte der ersten Produzentengalerie von Berlin wird im Haus am Kleistpark erzählt

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es gibt verkrachte Freunde, die sehen sich erstmals auf Beerdigungen wieder und kommen ins Grübeln, warum man nicht miteinander geredet hat. Da haben es die Maler, die 1964 mit Großgörschen 35 eine bald viel diskutierte Produzentengalerie gründeten, entschieden besser. Denn sie hat der Kunsthistoriker Eckhart Gillen noch einmal zusammengebracht, mit Unterstützung der Galerie Poll und des Kunstamtes Tempelhof-Schöneberg. In dessen Räumen im Haus am Kleistpark, nicht unweit der Großgörschenstraße, trafen sich viele der inzwischen Siebzigjährigen wieder, erfreut über die Aufmerksamkeit, die sie fünfzig Jahre nach ihrem gemeinsamen Aufbruch bekommen.

Der Katalog, der dazu entstanden ist, gleicht einem Familienalbum, mit vielen Gruppenfotos, alten Einladungsplakaten, den Kritiken ihrer Ausstellung und dem Schriftverkehr. So findet sich neben den Zeugnissen für den überraschenden Erfolg der Gemeinschaft auch ein Dokument, das 1967 die Gruppe wieder sprengte: eine Einladung zu einer Vollversammlung, in der die „Mitglieder Baehr, Berges, Diehl und Petrick den Ausschluß der übrigen Mitglieder“ beantragen, „die nicht nach der Art des Neuen Realismus“ arbeiten. Sezession!

Der harsche Ton der ideologischen Trennung war keine vorübergehende Erscheinung. Noch in den siebziger Jahren, als Eckhart Gillen schon einmal ihre Geschichte resümieren wollte, bekam er die Realisten, die sich politischen Inhalten und Referenzen an das Wirkliche verschrieben hatten, nicht mit denen zusammen, die als mehr an Formen interessierte Künstler im Verdacht der Affirmation standen.

Das war eine für die Nachkriegszeit in Westberlin typische Auseinandersetzung der Kunstszene. Nicht nur in der DDR wurde die Kunst ideologisiert, auch der Kunstbetrieb der Inselstadt schaffte das ganz schnell, kaum hatten die ersten Galerien wieder Fuß gefasst.

Die Ausstellung lässt die Polarisierung noch einmal sehen: Hier ist Ulrich Baehr mit einem „Fries für Liebhaber“ (1965), der die Kontinuität zwischen NS-Zeit und Bundesrepublik ins Bild fasst, neben Diehl, Sorge und Petrick ausgestellt, der in „Paradies“ spukhaft verzerrte, renitente Gestalten aufmarschieren lässt, halb Narr, halb Krüppel, mit kratzigen, aggressiven Strichen gemalt. Dort sind von Eduard Franozek ein Auseinanderdriften farbiger Flecken und eine Explosion von Rot, Gelb, Blau von Franz Rudolf Knubel zu sehen und andere dem Tachismus und Informel verwandte Stile. Und in der Mitte, als Bindeglied, ein Triptychon von K. H. Hödicke, dessen nah gesehene Figuren fast aus den Rahmen quellen, und Bernd Koberlings „Selbst mit roter Angeljacke“, aus reduzierten Farbflächen zusammengesetzt, die dem Mann mit Fisch im Bild eine meditative Aura geben.

Das Schöne an der Ausstellung aber ist: Die Werke der Maler wirken längst nicht so historisch wie ihre Kämpfe. Vielmehr vermitteln sie gerade in ihrer Vielfalt etwas vom Blick nach vorn, der die in den 1930ern und 1940ern Jahren geborenen Künstler miteinander verband. Dass die wenigen Galerien des noch schwächelnden Kunstbetriebes in der Trümmerstadt Berlin die jungen Kunststudenten nicht ausstellen mochten, verlieh ihrem Aufbruch Notwendigkeit und Furor. Nichts in ihren Bildern ist zaghaft, suchend, der eigenen Kunst nicht trauend, wie noch bei Fred Thieler, der viele von ihnen unterrichtete. Stattdessen treten sie mit starken malerischen Behauptungen an, so oder so.

Anfang der achtziger Jahre war Großgörschen 35 in Berlin noch eine relevante Größe; Markus Lüpertz, K. H. Hödicke, Sorge, Baehr, Petrick und Diehl waren in Galerien und Kunstvereinen präsent. Dass nur Männer dieser Formation angehört hatten, fiel auf. Der Hype um die Jungen Wilden, den Neo-Expressionismus aus Berlin, brachte sie wieder ins Spiel. Erst in den Nachwendejahre schrumpften sie in der Wahrnehmung auf ein spezifisches Westberliner Phänomen.

In zwei Kabinetten sind im Haus am Kleistpark eine Grafik-Mappe von Großgörschen und ihre Ausstellungsplakate ausgestellt, die, vom Künstler jeweils gestaltet, ein schönes Dokument der kurzen Zeit als Kollektiv bilden. Jeder brachte da seine Bildsprache auf den Punkt, nutzte gute Typografie, schnörkellos, sachlich. Wie sie da als umlaufender Fries an der Wand hängen, man käme nicht drauf, wie schnell sie sich wieder trennten.

■ Großgörschen 35, Haus am Kleistpark, bis 10. August