König der Königlichen

Eine Tragödie wiederholt sich als Tragödie: Mit „Zidane. Ein Porträt des 21. Jahrhunderts“ haben Douglas Gordon und Philippe Parreno einen Film gedreht, der so großartig wie hellsichtig ist

von HARALD FRICKE

Es ist der Film des Jahres. Nicht als Blockbuster, auch nicht als Arthouse-Experiment (obwohl er im Verleih in dieser Nische landen wird). Eher schon ist er wegen seines Hauptdarstellers herausragend. Und wegen der Doppelung des Dramas – weil er bereits 2005 ein Ereignis aufgezeichnet hat, das sich keine 15 Monate später, nun aber in ganz großem Stil wiederholte. „Zidane“, der Film von Douglas Gordon und Philippe Parreno, ist, wie der Untertitel ankündigt, „ein Porträt des 21. Jahrhunderts“.

Am 23. April 2005 waren die beiden Videokünstler mit insgesamt 17 Kameras im Stadion, um das Spiel zwischen Real Madrid und Villareal festzuhalten. Oder besser: einen einzigen Spieler während dieses Spiels festzuhalten – sämtliche Kameras waren ausschließlich auf Zinédine Zidane gerichtet. Aus einem Übertragungswagen gaben Gordon und Parreno ununterbrochen Anweisungen, ließen Close-ups auf das Gesicht von Zidane filmen, auf den Schweiß, der ihm unentwegt vom Kinn tropfte, oder auf seine drolligen Schlurfschritte zwischendurch.

Es ist eine ebenso gründliche wie psychedelisch ausfransende Dokumentation. Ein Minimal-Art-Profil von Zidane, mit irrer Akustik, für die dem Fußballer ein Mikro an den Strumpf geheftet wurde, sodass jeder Ballkontakt wie ein Donnerschlag dröhnt. Dazu ein in Zeitlupe knirschender Soundtrack der Band Mogwai. Alles so weit in Ordnung, vom Kunstkontext aus betrachtet. Bis zur 85. Minute etwa. Denn da gerät Zidane im Toraus mit seinem Gegenüber, Quique Álvarez, aneinander, schubst ihn rüde – und sieht die Rote Karte. Damit hat der Film die erzählerische Vorlage für jenen Kopfstoß von Zidane gegen den italienischen Verteidiger Marco Materazzi geliefert, der am 9. Juli in Berlin vermutlich die Weltmeisterschaft entschied. „Life has taken over life“, wie Gordon ein wenig übernächtigt nach dem Endspiel als Mail schrieb.

Von Zidane weiß man nicht, wie er sich nach der Niederlage beim Elfmeterschießen fühlte. Denn in Interviews wurde er immer nur wieder auf die Attacke angesprochen, mit der er seine aktive Fußballkarriere beendete. Doch auch die Tätlichkeit ist ein Rätsel geblieben: War es tatsächlich ein Blackout? Hatten seine Nerven versagt? Wollte sich Zidane einen medienwirksamen Abgang sichern? Hatte der Zorn wegen der Beleidigung seiner Mutter über alle Vernunft gesiegt?

Selbst fünf Monate nach der WM kennt man nur die üblichen Eckdaten, ohne die keine Zidane-Exegese auskommt. 1972 als Immigrantenkind mit algerischen Eltern in Marseille geboren, Aufstieg aus Armutsverhältnissen zum Superstar bei Juventus Turin, später Weltmeister und Europameister mit Frankreich, 2001 der Wechsel für 71,6 Millionen Euro zu Real Madrid, als König unter den Königlichen. Höher ging eigentlich nicht mehr, egal ob mit oder ohne den Aussetzer am 9. Juli in Berlin.

Doch da ist ein kleiner Wink, den der Film von Gordon und Parreno gibt. Dank der minutiösen Annäherung versteht man, wie Zidane jenseits der Mythen auf dem Platz funktioniert. Er schaut meist nur zu, was um ihn herum geschieht, er verharrt reglos und still. Es sieht so aus, als würde er das Geschehen reflektieren, um im entscheidenden Moment zu handeln – mit einer Drehung, einem Übersteiger und dem Pass auf Ronaldo, der zum Tor köpft. Als Regisseur im Mittelfeld ist Zidane ein Interpret des Jetzt, aus dem sich alle Möglichkeiten ergeben. Viel bewusster kann man ein Fußballspiel nicht kontrollieren, das sieht man in jeder Einstellung von „Zidane“. Insofern könnte selbst das Foul in Madrid Absicht gewesen sein. Und der Kopfstoß im WM-Finale? War womöglich die letzte Chance, das Spiel zu den eigenen Bedingungen zu Ende zu bringen. Schade nur, dass das Spiel danach weiterging. Der Film von Parreno und Gordon jedenfalls endet mit Zidanes Abgang. Darin ist das Kino doch größer als die Wirklichkeit.