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Archiv-Artikel

Rollenmodell

Die Relevanz eines Themas entscheidet sich in seiner Verpackung – diese Erkenntnis hatte sich im Fernsehmarkt rasch etabliert, nachdem Mitte der Achtziger die Privatsender in Deutschland zugelassen waren.

Und wie so oft war es der Spiegel, der führend sein wollte, auch auf dem neuen Markt. Spiegel TV Magazin hieß seine Erfindung, eine moderierte, vierzigminütige Sendung mit Reportagen und Hintergrundberichten, die 1988 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde.

Und wenn das mal keine Verpackung ist, die seither das Magazin sonntags auf RTL an die ZuschauerInnen bringt: eine Frau (!), ihr schulterlanges, blondes Haar streng gescheitelt, das Gesicht frontal zur Kamera, der Blick leicht von oben herab, die Stimme meist gepresst auf einer Tonlage – so spricht die Hamburgerin Maria Gresz bis heute zu ihrem Publikum.

Mit nachhaltigem Erfolg: In ihrer Pose der wachsamen, taffen, im Dienste der Bürger aufklärenden Vermittlerin einer Welt, wie sie der Spiegel sieht, etablierte sich Gresz rasch als Rollenmodell für eine folgende Generation von Nachrichten- und Politmagazinmoderatorinnen. Nicht nur im Privatfernsehen, auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern.

Von Gresz’ anklagender, aber volkstümlich orientierter Pose ist es nicht weit zu einer wachsam-taffen Anne Will, der ARD-Tagesthemen-Moderatorin. Im Jahr 2005 traf Wills strenger Ton, der ausnahmsweise optisch nicht von einer ironisch hochgezogenen Augenbraue konterkariert wurde, den damaligen Kanzler Gerhard Schröder auf einer USA-Reise. Weil es ja nicht nur sie interessiere, sondern alle Bürger und Bürgerinnen im Land, drängte sie Schröder zu einer Auskunft über die Neuwahlen in Deutschland – ein innenpolitisches Thema, zu dem sich der Kanzler nach einer Vorabsprache mit Will aus Washington nicht äußern wollte.

Der Schlagabtausch um Vereinbarungen zwischen Politik und Journalismus wurde prompt in der folgenden Berichterstattung auf Medienseiten gefeiert – ein Erfolg für Will. Politische Erkenntnisse brachte Wills Insistieren zwar kaum, dafür mediale: Die Verpackung wird wichtiger genommen als die Themen selbst.

Seit Nachrichtenseriosität als Marke im Wettbewerb der Fernsehsender gilt, steigt die Bedeutung einer ausgestellt kritischen Präsentation. Nicht zuletzt deshalb casten alle Sender, die auf Ernsthaftigkeit setzen, ähnliche Moderatorintypen für ihre Nachrichtensendungen und Politmagazine: Marietta Slomka, die kühle ZDF-Anchorfrau vom „heute-journal“.

Petra Lidschreiber, die eiserne Waffe des Rundfunk Berlin-Brandenburg, die von 1999 bis 2006 das Magazin Kontraste moderierte. Maybrit Illner, die unermüdliche Polittalkerin des ZDF. Oder Sonja Mikich, die Monitor-Moderatorin mit Moral in der ARD.

Gresz’ Hamburger Schule, die so perfekt zu einem Fernsehableger des Spiegel passt, der nach eigenen Angaben „Wert legt auf authentische Darstellung aller Themen“, verspricht vor allem eines: Glaubwürdigkeit in einer Branche, die ihre Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung gerne mal einzieht. SUSANNE LANG