Endlich geehrt

BUCH Friederike Mayröcker erhält den Bremer Literaturpreis für ihr letztes Werk

Bei der Preisverleihung wird Mayröcker fehlen, leider, aber auch passenderweise

Endlich. Friederike Mayröcker erhält am Mittwoch den Literaturpreis der Stadt Bremen, für „ich bin in der Anstalt“ (2010). Ob das wirklich das bessere Werk ist als „Paloma“ (2008), für das sie den Preis nicht bekam, man möchte es nicht behaupten müssen. Und das seither fortlaufende Thema auf weitaus zugänglichere Weise gesetzt hatte ohnehin schon der 2001 publizierte Zyklus „Requiem für Ernst Jandel“, kurz nach dem Tod des Lebensgefährten.

Der stand immer im Vordergrund: „in der Küche stehn wir beide / rühren in dem leeren Topf / schauen aus dem Fenster beide / haben 1 Gedicht im Kopf“, hieß es damals. Das war ihr neuer Ton, trauern und altern, altern und trauern, im Modus der Selbstbeobachtung. In der zersetzt sich das Ich, das sich in der Trauer als alternd oder im Alter als trauernd neu dichtet: Verfallsprozesse gesehen mit tränenblinden Augen.

Endlich: Das ist ja kein Schreiben, das sich ans Publikum ranwanzt. Und Mayröcker schreibt zwar nicht kompliziert, aber dafür: zerfasernd, Sätze, die, unvollständig, wie eine Sonde im Literaturmeer flottieren, nach Referenzen rufen, ohne sie zu nennen. „Fusznoten zu einem nichtgeschriebenen Werk“ hat sie die Fragmente genannt, die „ich bin in der Anstalt“ – was genau besehen eine Abwesenheitsnotiz ist – bilden: Sie sind durchnummeriert von 1 bis 243, wobei die letzte bloß aus Pünktchen besteht, und die erste schon eine scharf ironische Spur legt, zu vermeintlichen „Bekenntnissen“, die aber „nichts mit der Wahrheit zu tun“ hätten, „nämlich die hingeweinten, sage ich“. Woher diese Tränen? Unklar, ebenso wie der Ursprung des linearen Ablaufs von 1 bis 243, der einem Text gehorcht, den es nicht gibt (und: wer ist sein Autor?). Gelegentlich fordert sie den „erlauchten Leser“ sogar auf, die Ordnung zu verlassen, indem er eine Fußnoten von der Mitte „an das Ende dieses Buches“ stellt.

Bei der Preisverleihung wird die 85-Jährige fehlen, leider, gesundheitsbedingt, aber auch passenderweise: „Es geht hier wieder nur um die Sprache eigentlich“, hatte sie gesagt, als das Buch im vergangenen Mai erschien. Die Rezensenten waren gerührt vom Blick auf den alternden Körper, buchstabierten die Bezüge nach: Gedanken an Jandl, Verweise auf Derrida, auf Bachs „Praeludium c-moll BWV 934“, welthaltiger geht’s ja kaum. „Ich muss da einen Schwindelweg machen“, hatte Mayröcker gesagt, „ich muss ja dem Leser auch einen Pfad geben, sonst hört er auf zu lesen.“ Wer angefangen hat, wird das kaum können. BES

Friederike Mayröcker, ich bin in der Anstalt, 189 S., 19,80 Euro