Pingpong ist selten im Schnee

FOTOGRAFIE Ein Fotograf entdeckt seine Freiheit und das Spiel an der Tischtennisplatte: der US-Amerikaner Alec Soth und Künstlerfreunde im Sprengel Museum Hannover

Soth, Jahrgang 1969, sieht die Grenzen zwischen redaktioneller und künstlerischer Fotografie verschwimmen

VON BEATE BARREIN

Die Redewendung „sich den Ball zuspielen“ wird plakativ durch das Pingpong verkörpert. Das Tischtennisspiel entstand im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in England in der heutigen Art, aus Platzgründen. Inka Schube, Fotografiekuratorin des Sprengel Museums, schlägt mit Sachwissen auf. Das regnerische englische Wetter habe schlicht kein Outdoortennis zugelassen. Und auch für die Ausstellung „The little Brown Mushroom Ping-Pong Reading Room“ des Fotografen Alec Soth und seiner Freunde hätten sich alle „den Ball zugespielt“.

Alec Soth kommt mit „St. Paul“ (2014) nach Hannover: Acht mal acht DIN-A4-große Teile werden an der Wand zusammengefügt mit Stecknadeln, auf fast zwei mal drei Meter Fläche. Schwarze Stecknadelköpfe stecken zwischen weißen Lichtflecken. Denn es schneit auf dem Foto, während eine Person mit weißem Kreis vor dem Gesicht dabei ist, an der Tischtennisplatte vor verschneiter Landschaft aufzuschlagen. Durch die Belichtung werden aus den Schneeflocken diffuse Kreise. „Ich musste viele Aufnahmen machen“, sagt Soth. „Es war sehr kompliziert. Eine Digitalaufnahme.“ Ein Ballgewirr, wie man es bei keinem Match findet.

Auch ist Pingpong im Schnee selten zu finden. Aber der aus Minnesota stammende Soth ist ein Motivfinder. Er sammelte auch die kuriosen Tischtennisfotos, die neben seinem Großformat hängen. Alte, analoge Schwarz-Weiß-Fotos, nachcolorierte farbige Hochglanzfotos mit aufgedröselten Ecken, die die Menschen und ihr Spielgerät zeigen.

Wie aber kommt Soth von seinen bekannten, wie ein sozialkritischer Spiegel wirkenden USA-Porträts nun auf Pingpong? „Das ist über die Jahre entstanden. Fotografie wird oft mit technischen Dingen verbunden, mit der Art, wie man fotografiert. Einem Autor ergeht das nicht so. Ich will die Freiheit eines Autors. Ich will die Dinge spielerisch angehen, wie ein Regisseur, der eine Komödie oder ein Drama inszeniert.“

In einem Lichthof im Untergeschoss des Museums schmiegen sich die Exponate an die Sichtbetonwände. Soth hat Arbeiten von befreundeten Künstlern mitgebracht. Bei Anouk Kruithof hat ihn der Performancecharakter von „Push Up“ (2013) beeindruckt. Die Niederländerin hat Banker gebeten, draußen vor ihren Arbeitsstätten Liegestütze zu machen und sie dann fotografiert. „Die Körperlichkeit dieser Arbeit passt zu dieser Ausstellung. Ich mag das flackernde Licht, das sich aus dem digitalen Rahmen in den Raum ausbreitet“, sagt Soth über das 15-teilige Ensemble.

Der US-Amerikaner David Goldes hat einen Tischtennisball in eine dauernde Schwebe gebracht, „Gravity versus Air Stream“ (2014), im Silbergelatinefoto sieht man eine Pappröhre mit Fön und Tischtennisball. Jason Polan, ein New Yorker Künstler mit Sinn für Serien, hat hölzerne Tischtennisschläger bemalt. Alle mit verschiedenen Pilzen. In Braun.

Kennengelernt haben die Künstlerfreunde Soth über sein Projekt Little Brown Mushroom (LBM). Ein kleiner Verlag für Fotoeditionen, ein Forum, eine Sandbox, wie Soth es nennt. In Hannover liegen die Publikationen zum Ansehen aus.

Soth, Jahrgang 1969, sieht die Grenzen zwischen redaktioneller und künstlerischer Fotografie verschwimmen. „Es wird uneindeutiger. Unser erstes Fotoheft habe ich komplett selbst produziert und über meine Website verkauft. Das hat die Reisekosten eingebracht. Ein nächstes druckten wir auf besserem Papier, haben mit Collegestudenten zusammengearbeitet, mit Sponsoren. Jetzt wird eines in Verbindung mit der New York Times entstehen. Da bin ich nicht mehr der Fotograf, der für die Redaktion arbeitet: Ich habe ein eigenes Projekt und kann zur New York Times sagen, dass ich genau auf diese Weise arbeiten will, und fragen, ob sie es auch so will.“

Nicht nur für LBM nutzte Soth als einer der Ersten das Internet aktiv. Mit vier anderen Magnum-Fotografen startete er 2011 das Projekt „Postcards from America“ und lud die Fotos seiner Reisen durch die amerikanischen Bundesstaaten sofort hoch. Um zu begreifen, wie Soth mit seiner Großformatkamera arbeitet, läuft parallel zur Ausstellung der Dokumentarfilm, „Somewhere to disappear“ (2011).

Soth denkt, dass Fotografie auf vielen Ebenen funktionieren kann. „Ich kann Bilder in einer Galerie verkaufen für mehrere tausend Dollar. Ich kann ein Foto für eine Zeitschrift machen und hunderttausend Leute werden es sehen. Ich kann Poster produzieren oder mit Instagram veröffentlichen. High and low level.“

Nun lässt er sich von Fotografen ablichten: beim Aufschlag an der spielbereiten Tischtennisplatte. Und er ist sichtlich vergnügt. Vielleicht auch, weil es die 64 Teile seines Großformats, 500er Auflage, signiert, hier für 20 Euro zu kaufen gibt. Wieder ein Level.

■ Bis 26. Oktober im Sprengel Museum Hannover