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Archiv-Artikel

Grüne lassen räumen

BESETZTE SCHULE Mit Großaufgebot von 900 Polizisten will der Bezirk die Flüchtlinge räumen. Knapp die Hälfte verbarrikadiert sich

Die besetzte Schule

■ Die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße in Kreuzberg wurde Ende 2012 von einem Teil der Flüchtlinge aus dem Protestcamp am Oranienplatz besetzt. Etwa 200 Menschen wohnen seitdem in dem Gebäude, das vorher leer stand. Die grüne Bezirksregierung duldete die Besetzung bisher und kam für Stromkosten auf, stellte aber gleichzeitig immer wieder klar, dass es sich nur um ein Provisorium handle. Aus diesem Grund wurden in die Schule auch keine Duschen eingebaut und kaputte Toiletten selten repariert, was zu viel Unmut unter den BewohnerInnen führte.

■ Immer wieder kam es auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen unter den Flüchtlingen. Ende April gab wurde ein 29-jähriger Marokkaner von einem anderen Bewohner erstochen. Vorausgegangen war ein Streit um die Benutzung der einzigen Dusche.

■ In der Schule wurden von verschiedenen Gruppen Beratungen angeboten, die organisiert auftretende Frauenetage veranstaltete regelmäßig politische Workshops. Neben hauptsächlich afrikanischen Flüchtlingen wohnten auch mehrere Romafamilien im Gebäude, die zum Teil zuvor im Görlitzer Park gewohnt hatten. (mag)

VON MALENE GÜRGEN UND MARKUS MAYR

Von hier oben auf dem Dach der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg kann man die Protestierenden unten zwar nicht sehen, aber hören: „Kein Mensch ist illegal“, rufen die UnterstützerInnen auf der Straße, und die Flüchtlinge auf dem Dach stimmen sofort mit ein. Etwa 40 Menschen haben sich seit Dienstagmittag hier oben versammelt, sie wollen die Schule unter keinen Umständen verlassen. Neben ihnen stehen ein Benzinkanister und mehrere Glasflaschen, aber auch eine Musikanlage, Decken und Essen werden hochgebracht. Die Flüchtlinge bereiten sich darauf vor, hier auszuharren.

Am Dienstagmorgen hatte der Bezirk 900 Beamte zur Räumung des Gebäudes angefordert. Mindestens fünfzig BewohnerInnen der Schule, schätzen Beobachter, haben sich entschlossen, nicht freiwillig zu gehen. Viele Flüchtlinge haben sich in ihren Zimmern verbarrikadiert, einige drohen mit Selbstmord. „Wenn hier heute jemand stirbt, dann haben Sie das zu verantworten“, ruft einer in Richtung der Bezirkspolitiker auf dem Hof. In einem Teil der Schule wurde Benzin ausgekippt.

Vor dem Eingang der Schule stehen Pressevertreter, die die Schule offiziell nicht betreten dürfen. „Wir brauchen hier und heute keine Presse“, lautet die knappe Begründung des zuständigen Bezirksstadtrats Hans Panhoff (Grüne). Auch andere Menschen werden nicht in das Gebäude gelassen: Eine Frau steht vor dem Tor, sie will zu ihren Kindern in die Schule. Die Polizisten, die sich vor dem Eingang aufgestellt haben, weisen sie harsch ab. „Wenn Sie noch gemütlich einkaufen waren, kann es ja nicht so schlimm sein mit Ihren Kindern“, sagt ein Beamter zu der weinenden Frau. Diese berichtet, sie sei nur eine halbe Stunde weg gewesen, bei ihrer Rückkehr sei dann alles zu gewesen.

Alles geht sehr schnell

Tatsächlich geht zunächst alles sehr schnell an diesem Vormittag: Innerhalb weniger Minuten sperren Beamte das Gelände um die Schule ab, gleichzeitig bilden sich an zwei Straßenecken Gruppen von jeweils etwa 250 Protestierenden. Trotz der Absperrungen schaffen es einige Protestierende, direkt vor der Schule eine Sitzblockade zu bilden. Etwa 15 Menschen werden von der Polizei teils gewaltsam geräumt und kurzzeitig in Gewahrsam genommen.

Im Laufe des Nachmittags verlassen mehrere Busse mit BewohnerInnen das Gelände. Im ersten sitzen Romafamilien, für deren Unterbringung sich der Bezirk zuständig erklärt hat. Sie werden in eine Unterkunft „in der Nähe der Schule“ gebracht, sagt Bezirkssprecher Sascha Langenbach. Die nächsten Busse bringen Flüchtlinge, die freiwillig die Schule verlassen haben, zu Unterkünften in Charlottenburg und Spandau. Doch längst nicht alle wollen mit: Zu Redaktionsschluss bestätigt der Bezirk, dass sich noch 95 Menschen in der Schule befinden.

Der Linken-Abgeordneter Hakan Tas spricht von einem „unglaublichen Skandal“

Innensenator Frank Henkel (CDU) begrüßte die Räumung. Der Bezirk sei nun bereit, mit dem Senat an einem Strang zu ziehen, erklärte er. Im Senat wurde unterdessen beschlossen, dass die Vereinbarung zwischen Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und einem Teil der ehemaligen Oranienplatz-BesetzerInnen nun auch für diejenigen SchulbewohnerInnen gilt, die von den Sicherheitskräften der Schule einen Hausausweis ausgestellt bekommen haben. Diese 211 Personen haben Anspruch auf Unterbringung, Einzelfallprüfung sowie die Zusicherung, währenddessen nicht abgeschoben zu werden. Viele Flüchtlinge vom Oranienplatz sind jedoch nach wie vor von Abschiebung bedroht. Der Flüchtlingsrat kritisierte am Dienstag, dass der Senat seine Versprechen bisher nicht in die Tat umgesetzt habe, und forderte ein sofortiges Ende des Polizeieinsatzes.

„Es reicht nicht, die Menschen einfach an anderer Stelle unterzubringen und vor der Öffentlichkeit zu verstecken“, sagte Fabio Reinhardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Piratenfraktion. Der Republikanische Anwälteverein bezeichnete das Vorgehen des Bezirks als „Wortbruch“, der Linken-Abgeordnete Hakan Tas sprach von einem „unglaublichen Skandal“.

Bei Redaktionsschluss war weiter unklar, was mit denjenigen Menschen passiert, die die Schule nicht freiwillig verlassen. Von Seiten der Polizei hieß es, man bereite sich auf einen „langen Abend“ vor. UnterstützerInnen hatten für 19 Uhr zu einer Solidaritätsdemo am Kottbusser Tor aufgerufen.

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