: Der Brunnenbauer
Der ehemalige St. Pauli-Profi und taz-Panter-Preisträger Benjamin Adrion weitet sein Engagement für frisches Trinkwasser aus und bereist nach Kuba nun Afrika. Doch der Fußball lässt ihn nicht los – einen neuen Spielerpass hat er schon beantragt, und auch die Rückkehr zu den Profis schließt er nicht aus
Von MARCO CARINI
Benjamin Adrion zündet sich eine Marlboro an, später dann noch eine. Noch vor einem dreiviertel Jahr wäre das für ihn undenkbar gewesen. Damals stand der 25-Jährige noch auf der Lohnliste des Regionalligisten FC St. Pauli. Doch dann kam der Abschied. Der damalige Trainer, Andreas Bergmann, fand nicht das Gespräch mit seinem Spieler, der über Monate auf ein Signal wartete, ob sein Vertrag verlängert wird.
Dann erfuhr Adrion von einem Zeitungsreporter, dass die Zeichen auf Abschied stünden, schließlich teilte ihm der Verein mit, der Etat sei ausgereizt, Geld für eine Weiterverpflichtung nicht vorhanden. Da Adrion „nach St. Pauli für keinen anderen Club“ mehr die Stiefel schnüren wollte, beendete er kurzerhand seine Profikarriere. In einem Alter, indem die meisten seiner Kollegen erst den Zenit ihrer Leistung erreichen. Seitdem ist „Benny“ arbeitslos. Und Raucher.
Sein Abgang vom Millerntor-Stadion hatte viel damit zu tun, dass, wie Benny es ausdrückt, „Fußball für mich nie alles war“. Als der Club vom Hamburger Kiez Anfang 2005 als erstes westliches Profi-Team ein Trainingslager auf Kuba absolvierte, lernte er die Not der Bevölkerung der sozialistischen Karibik-Insel kennen. Spontan rief er mit Unterstützung der Welthungerhilfe das Projekt „Viva con agua de St. Pauli“ ins Leben.
Neben seinem Fußballerjob organisierte Adrion fortan ehrenamtlich zahlreiche Benefiz-Kulturveranstaltungen und spannte seine Mitspieler, ja den ganzen Verein ein, um 50.000 Euro für die Aufstellung von Wasserspendern zu sammeln, die in 120 kubanischen Kindergärten und einigen Sportstätten aufgestellt werden sollten. Die Aktion hatte Erfolg, das Geld reichte schließlich sogar, um 150 Kindergärten mit Frischwasser zu versorgen. Für dieses Engagement erhielt Adrion im September den von der taz ausgelobten, mit 5.000 Euro dotierten Panter-Preis. Doch da Trainer Andreas Bergmann immer stärker das Gefühl hatte, Adrion würde zu wenig Energie in seine Fußballerkarriere stecken und sich zu viel mit anderen Sachen beschäftigen, ließ er seinen Schützling fallen. Inzwischen ist Bergmann selbst beurlaubt.
Nun hat Benny Zeit, um Viva con agua voranzutreiben, und niemand nimmt ihm sein Engagement mehr übel. Im Herbst hat er einen Monat lang Afrika bereist, „weil hier Hilfe und vor allem Wasser am nötigsten gebraucht werden“. In der äthiopischen Kleinstadt Sado, in der gut 3.000 Menschen leben, wird „Viva con agua“ sein nächstes Projekt starten. Geld für den Bau von fünf Brunnen will Adrion in den kommenden Monaten sammeln. 10.000 Euro wird die Erstellung jedes Brunnens kosten. Das Grundwasser fließt in dieser Region etwa 40 bis 60 Meter unter der Erde, mit schwerem Gerät müssen die Steinschichten im Erdreich überwunden werden, bevor die PVC-Rohre, durch die das Wasser an die Oberfläche gepresst werden soll, in die Erde getrieben werden können.
Zwei Stunden sind die Frauen von Sado heute jeden Tag unterwegs, um Trinkwasser aus der nächsten Wasserstelle zu schöpfen, weiß Adrion zu berichten. Dann erzählt er von den äthiopischen Kindern, die fünf Stunden am Tag die Viehherden mit einem Stock über die dürren Weiden treiben, von den Männern, die mit einer Handsichel den mageren Ertrag ihrer Felder ernten. Berichtet von dem sozialen Gefälle, das er in Addis Abeba erlebt hat, vom unermesslichen Reichtum der schmalen Oberschicht und den Bettlern mit ihren verstümmelten Gliedmaßen. „Willkür und Korruption prägen das Land“, das hat Adrion während seines Aufenthaltes lernen müssen. „Internationale Konzerne plündern die Bodenschätze und die einheimische Bevölkerung hat nichts von dem Reichtum, der unter ihren Füßen lagert.“
Die Reise in den „am meisten vergessenen Kontinent“ hat Benny Adrion fast ausschließlich aus „eigener Tasche“ bestritten, die Welthungerhilfe spendierte einen Flug und kleine Zuschüsse. Die gesamte Arbeit für Viva con agua leistet der 25-Jährige ehrenamtlich. Ein Dutzend Freunde hat Adrion um sich gescharrt, die wie er ihre Freizeit opfern, um Geld für die zu sammeln, „die es am nötigsten brauchen“. Einen Drucker und einen Computer hat die Gruppe gerade geschenkt bekommen, ein Büro gibt es noch nicht. „Vielleicht ist ja im Innern der neuen Südtribüne, die im Sommer fertiggestellt werden soll, noch ein kleiner Raum für uns frei“, hofft Adrion auf die Unterstützung seines ehemaligen Arbeitgebers. Die Kontakte zum FC St. Pauli sind immer noch eng und Adrion fungiert noch immer als regelmäßiger Autor der Stadionzeitung.
Für das gerade begonnene Jahr hat Adrion große Pläne. 100.000 Euro will er mit Benefiz-Veranstaltungen für Trinkwasserprojekte zusammenbringen. Im Sommer will er eine „kulturelle Woche“, die „Wicked Wata Week“, in Hamburg auf die Beine stellen, in deren Mittelpunkt ein großes Open-Air-Konzert im Stadtpark oder am Millerntor stehen soll. „Im Moment suchen wir Sponsoren für die Finanzierung“, erklärt Adrion. Sind die gefunden, sollen über das Event doppelt so viele Spenden eingeworben werden, wie die Organisation gekostet hat.
Nein, „gelangweilt“ habe er sich in den vergangenen Monaten, die er so ganz ohne Fußball verbracht hat, nicht. „Sauwohl“ fühle er sich, voll der „vielen spannenden Erfahrungen“, die er in den vergangenen Monaten sammeln durfte. „Viva con agua“ sei wie „eine Welle, die mich mitreißt“. Und trotzdem beschleicht den gebürtigen Schwaben noch immer ein merkwürdiges Gefühl, wenn der in der „Meckerecke“ des Millerntors die Mannschaft anfeuert, von der er bis zum Sommer ein Teil war. „Wenn es nicht richtig läuft“ – und es lief oft nicht richtig in den vergangenen Monaten – „dann möchte ich zu meiner Mannschaft, meinen Mitspielern in den Arsch treten, um irgendwie zu helfen“, klagt der zur Passivität verdammte Fan.
Vielleicht wird er das bald wieder tun. Zwischen zwei Zigaretten verrät Adrion noch ein Geheimnis. Kurz vor Weihnachten hat er einen neuen Spielerpass beantragt, nachdem Holger Stanislawski, Sportchef des Vereins und Trainer des Regionalliga-Teams, ihn angerufen hat. Kommende Woche will er beim Trainingsauftakt der zweiten, in der Oberliga kickenden Mannschaft die Fußballschuhe schnüren. Adrion schmunzelt. „Bis dahin muss ich mir noch das Rauchen wieder abgewöhnen.“ Und jede Menge Trainingsrückstand aufholen, da er „nicht mehr im Saft“ sei. Und vielleicht, wenn er schnell wieder Anschluss findet, erfüllt sich irgendwann noch ein großer Wunsch. „Ich träume manchmal davon, dass ich noch mal bei den Profis eingewechselt werde und der Mannschaft helfen kann.“
Dann schaltet Benny Adrion wieder um und erzählt von Sado, wo er spätestens am 11. September, dem äthiopischen Milleniumsfest, wieder zu Gast sein will. Mitten in der Liga-Saison, wie soll das gehen? Benny Adrion lächelt nur. Eine Antwort gibt er nicht.
Infos unter www.vivaconagua.org. , Spenden: Viva con agua e. V., HaSpa (BLZ: 200 505 50), Kto: 1268 135181