: Zum Arrest ging’s in den „Bunker“
GEWALT Eine Studie belegt: Im Evangelischen Johannesstift wurden Zöglinge bis in die 60er Jahre gequält
Ohrfeigen, Prügel und Arrest gehörten in den Heimen des Evangelischen Johannesstifts bis in die 60er Jahre zum „Erziehungsrepertoire“. Das ist das Ergebnis einer internen Studie der diakonischen Einrichtung, die in Berlin veröffentlicht wurde. Untersucht wurde der Zeitraum zwischen 1945 und 1970 in fünf Berliner Heimen. „Wir bitten alle ehemaligen Heimkinder für erlittene und leidvolle Erfahrungen in Heimen um Verzeihung“, erklärte der Vorstand am Dienstag in der Bundeshauptstadt.
Der Schwerpunkt der Fälle lag laut Studie in den 40er und 50er Jahren. In den 60ern seien weniger Fälle dokumentiert. Nach Auswertung der Akten wurde demnach fast jeder fünfte Jugendliche mindestens einmal während des Aufenthalts in Heimen des Johannesstifts gezüchtigt. Meist gehe es um Ohrfeigen, aber auch Hinweise auf Prügelstrafen seien zu finden, heißt es.
Die Züchtigungsformen waren formal in einem Strafkatalog aufgeführt. Schläge mit dem Rohrstock wurden nach Aktenlage bis Anfang der 50er Jahre angewandt, obwohl körperliche Züchtigungen in Berliner Heimen seit 1948 verboten waren. Arreststrafen im „Bunker“ waren dagegen noch bis Anfang der 60er Jahre üblich.
Stiftsvorsteher Martin von Essen erklärte: „Mit großer Betroffenheit stellen wir fest, dass auch in unseren Heimen Unrecht geschehen ist“. Schläge und Ohrfeigen seien damals Teil eines von Strafen und Gehorsam bestimmten Erziehungssystems gewesen, das auf Unterordnung und nicht hinterfragten Gehorsam zielte. „Wir wissen heute, dass wir dem Anspruch unserer christlichen Verpflichtung nicht bei jedem der Kinder und Jugendlichen gerecht geworden sind“, so Essen.
Untersucht wurden laut Bericht auch die Arbeitsverhältnisse in den Heimen. Bis in die 60er Jahre seien die Kinder zu Arbeiten auf dem Feld oder für das Gemeinwesen eingesetzt worden. Zudem wurden Jugendliche zur Berufsfindung als sogenannte Arbeitsburschen in den Stiftsbetrieben unentgeltlich beschäftigt. Sie bekamen nur ein Taschengeld, waren aber nicht arbeitslosen- und sozialversichert.
Gespräch gesucht
Untersucht wurden den Angaben zufolge noch erhaltene Akten der ehemaligen Heime Ulmenhof, Birkenhof, Jungborn, Heideborn und des Kleinkinderheims. Das Johannesstift sei im Gespräch mit ehemaligen Heimkindern und suche es auch, sagte Essen. Sie erhielten unkompliziert Akteneinsicht sowie, wenn gewünscht, seelsorgerische und therapeutische Begleitung. Zudem sei das Johannesstift bereit, sich an dem vom runden Tisch Heimerziehung vorgeschlagenen Hilfsfonds zu beteiligen.
Das Johannesstift hat nach eigenen Angaben mehr als 3.100 Mitarbeiter in der Kinder-, Jugend-, Behinderten- und Altenpflege in Berlin, den neuen Bundesländern und Niedersachsen. Hauptsitz der diakonischen Einrichtung ist ein 75-Hektar-Gelände in Spandau. (epd)