: Polizei soll voll krass rumlabern
Streife gehen, quatschen und Tee trinken: In Problemkiezen sollen Polizisten künftig stärker den Kontakt mit Bewohnern suchen. Das kündigt Polizeipräsident Dieter Glietsch im taz-Interview an
von PLUTONIA PLARRE und ULRICH SCHULTE
Die Polizei will in Problemkiezen stärker auf Jugendliche und Anwohner zugehen. Die Beamten sollen beispielsweise in Nord-Neukölln oder im Wrangelkiez öfter Streife gehen und das Gespräch mit den Bürgern suchen, kündigt Polizeipräsident Dieter Glietsch im taz-Interview an. „Meine Vorstellung ist, dem einzelnen Mitarbeiter eine persönliche Zuständigkeit für bestimmte Straßenzüge zuzuweisen.“ Dort solle er möglichst oft zu Fuß unterwegs sein, so Glietsch.
Die Neuerung ist auch eine Reaktion auf den Vorfall im Wrangelkiez im November. Einige Jugendliche, meist arabischer und türkischer Herkunft, hatten versucht, die Festnahme zweier Zwölfjähriger zu verhindern. Dabei wurden sie von einer aufgebrachten Menschenmenge beobachtet. Glietsch will jetzt mehr Verständnis für die Polizeiarbeit wecken: „Wir ziehen uns nicht aus den Kiezen zurück. Im Gegenteil. Beim gemeinsamen Tee oder Kaffee wird es leichter fallen, solche Fehleinschätzungen auszuräumen.“
Die Reform knüpft an die alte Idee des Kontaktbereichsbeamten – kurz: Kob – an, den es in Berlin bis in die 90er-Jahre gab. Die Uniformierten waren von anderen Aufgaben befreit, um in ihren Kiezen ein persönliches Verhältnis zu den Bewohnern aufzubauen. Mit der Einführung des so genannten Berliner Modells bei der Polizei im Jahr 1998 musste die Schutzpolizei zunehmend Aufgaben der Kripo übernehmen. Damit sei die Idee des Kobs „ein bisschen verloren gegangen, auch weil wir heute weniger Personal haben“, sagt Glietsch. Er will die Idee „mit unseren heute begrenzten Möglichkeiten“ wieder beleben.
Ziel ist es, gerade unter Migrantenjugendlichen mehr Akzeptanz für die Polizei zu schaffen. Die Präventionsarbeit in den Kiezen müsse so gut werden, dass die Menschen „das subjektive Verfolgungsgefühl“ durch die Polizei nicht mehr hätten, so Glietsch. Er kündigt an, den Anteil von Polizisten nichtdeutscher Herkunft deutlich zu erhöhen. Im Moment gehören 150 der 17.000 Polizisten einer anderen Ethnie an. „Angesichts der großen Zahl von Migranten, die in Berlin leben, sind es viel zu wenig“, sagt Glietsch. Solche Mitarbeiter seien nicht unbedingt wichtig, um Konflikte besser entschärfen zu können. Vielmehr gehe es um einen „Vertrauensbeweis“, so der Polizeipräsident. „Migranten sollen sich in einer der wichtigsten Behörden des Staates repräsentiert fühlen.
Die Zahl der Gewaltdelikte ist 2006 im Vergleich zum Vorjahr um 5 Prozent gestiegen. Laut Glietsch sind junge Männer nichtdeutscher Herkunft unter den Tatverdächtigen überproportional vertreten – mit steigender Tendenz. Der Anteil der jungen Deutschen hingegen gehe zurück.
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