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Archiv-Artikel

Ankunft im Atomzeitalter

Zur Jahreswende nimmt Marokkos erster nuklearer Forschungsreaktor seinen Betrieb auf. Ein kommerzielles Atomkraftwerk soll 2017 ans Netz gehen

MADRID taz ■ Marokko ist ins Atomzeitalter eingetreten. Zum Jahreswechsel ist 25 Kilometer nördlich der Hauptstadt Rabat der erste Reaktor in Betrieb genommen worden. Es handelt sich um einen Forschungsreaktor. Doch bereits in zehn Jahren will das nordafrikanische Land einen Teil seines Energiebedarfs mit einem großen kommerziellen Atommeiler decken.

Der Forschungsreaktor hat eine Leistung von zwei Megawatt und gehört zum Nationalen Zentrum für Energie, Wissenschaft und Nukleartechnik (CNESTEN), dem der marokkanische Regierungschef Driss Jettou höchstpersönlich vorsteht. Die Anlage kostet fünf Millionen US-Dollar, wurde von den USA geliefert und von Frankreich finanziert. Zwischen den USA und Marokko besteht seit Jahren ein Kooperationsabkommen auf den Gebiet der Atomenergie, das noch mindestens bis 2021 läuft. Mit Paris schloss das nordafrikanische Land Anfang Dezember ein Abkommen, das unter anderem die „Kooperation Frankreichs in der zivilen Nukleartechnologie Marokkos“ vorsieht.

Der Forschungsreaktor markiert den Anfang des geplanten marokkanischen Atomzeitalters: Der Energiebedarf des Landes steigt jährlich um 8 Prozent. Und es muss 97 Prozent seiner Energie in Form von Kohle, Gas und Erdöl einführen. Deswegen will es sich künftig teilweise mit Atomenergie selbst versorgen.

Das nationale Elektrizitätsunternehmen ONE hat bereits zwei mögliche Standorte für einen kommerziellen Reaktor ausgesucht. Er soll entweder in Tan-Tan ganz im Süden der marokkanischen Atlantikküste oder in Sidi Boulbra nördlich des Urlaubsortes Essaouira gebaut werden und eine Leistung von 700 bis 1.000 Megawatt haben. Die ONE-Pläne sehen vor, dass das AKW 2017 ans Netz geht. Die Internationale Atomenergieagentur hat nach marokkanischen Angaben beide Standorte untersucht und für gut befunden.

Auf den Kanarischen Inseln, die nur etwas mehr als 100 Kilometer von den beiden Standorten entfernt sind, blickt man mit Sorge in Marokkos nukleare Zukunft. Regionalregierung und Reiseveranstalter fürchten um den guten Ruf der Inseln, wenn sie erst einmal im unmittelbaren Einzugsbereich eines Atomreaktors liegen. Das Industrieministerium der kanarischen Autonomieregierung hat den Marokkanern bereits vor Jahren angeboten, in Tan-Tan einen Windpark einzurichten, falls die ONE auf ihre nuklearen Pläne verzichtet. Vergebens.

„Die spanische Regierung unternimmt zu wenig angesichts der nuklearen Pläne Marokkos“, heißt es bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Madrid möchte keinen Druck auf Rabat ausüben. Die nachbarschaftlichen Beziehungen sind auch ohne Atomdebatte bereits kompliziert genug. In Spanien selbst gilt seit den Achtzigerjahren ein Baustopp für Atomkraftwerke. Sobald eines der neun AKWs seine Lebensdauer erreicht hat, wird es nicht ersetzt werden.

REINER WANDLER