Das Ende der Zurückhaltung

Nach dem BenQ-Debakel will Nordrhein-Westfalens IG Metall aggressiv in die kommende Tarifrunde gehen. Landesbezirkschef Detlef Wetzel positioniert sich so für den Bundesvorsitz

VON ANDREAS WYPUTTA

Mit Lohnforderungen von deutlich über fünf Prozent will Nordrhein-Westfalens IG Metall in die neue Tarifrunde gehen. „Im alten Jahr haben wir fünf Prozent mehr Geld gefordert und drei Prozent mehr bekommen“, sagte Detlef Wetzel, Chef des IG Metall-Bezirks NRW, der Berliner Zeitung. „Im neuen Jahr wird es eine höhere Forderung geben. Und es muss auch ein höheres Ergebnis her.“

Zwar solle die genaue Höhe der Forderung noch im Vorstand der Gewerkschaft und mit der Basis in den Betrieben diskutiert werden, so Wetzels Sprecher Wolfgang Nettelstroth zur taz. Maßstab der Lohnentwicklung aber müsse die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sein: „Und die läuft gut.“

Die aktuellen Lohn- und Gehaltstarifverträge der Metallindustrie gelten bis zum 31. März. Danach läuft eine vierwöchige Friedenspflicht. Doch schon heute schließt IG Metall-Chef Wetzel Streiks nicht aus – und profiliert sich damit weiter als Kandidat für den stellvertretenden Bundesvorsitz der ehemals größten Einzelgewerkschaft Deutschlands. Auf dem Gewerkschaftstag im Herbst soll der derzeitige Vize Berthold Huber den amtierenden IG Metall-Bundesvorsitzenden Jürgen Peters ablösen. Wetzel könnte dann als Nummer zwei in die Frankfurter Gewerkschaftszentrale nachrücken.

Schon heute gilt der gelernte Werkzeugmacher und studierte Sozialarbeiter als aussichtsreichster Kandidat. Wie Huber selbst gehört Wetzel zum Reformflügel der Metaller – im Gegensatz zum Hardliner Peters. Bisher setzte Wetzel nicht nur auf spektakuläre Tarifabschlüsse, sondern forderte von Arbeitgebern wie Politik eine „neue soziale Verantwortung“: Mit der „Initiative Solidarität“ steht etwa gleicher Lohn für Zeitarbeiter und befristet Beschäftigte, keine Ausgliederungen in Unternehmen ohne Tarifvertrag und mehr Ausbildungsplätze auf der Agenda seines Landesbezirks. Bundesweit einmalig war auch der zuvor von Nordrhein-Westfalens IG Metall abgeschlossene Tarifvertrag zur betrieblichen Altersvorsorge – die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen sollen so verändert werden, dass „Ältere gesund in Rente gehen können“, sagt Wetzel.

Beweglich hatte sich seine IG Metall auch bei der Übernahme der Siemens-Handyproduktion durch den taiwanesischen BenQ-Konzern gezeigt. Die Gewerkschaft stimmte einer Arbeitszeitverlängerung von fünf Stunden in der Woche ebenso zu wie dem Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Dennoch ging die Firma in Konkurs, musste mit Beginn dieses Jahres endgültig Insolvenz anmelden. In den Werken Kamp-Lintfort und Bocholt läuft nun nur noch eine Auslaufproduktion (siehe unten).

Die hohen Lohnforderungen in der kommenden Tarifrunde bedeuteten aber keinen Kurswechsel weg von dieser Art des Ko-Managements, betont IG Metall-Sprecher Nettelstroth. „BenQ ist nur einer von 163 Fällen, in denen wir Abweichungen vom Tarifvertrag zugestimmt haben.“ Ziel bleibe der Erhalt der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen und damit der Erhalt der Arbeitsplätze. Nach erfolgter Erhöhung der Investitionen werde dann auch wieder der übliche Lohn gezahlt: „Von den 163 Firmen zahlen über zehn Prozent schon wieder nach Tarif.“

Unterstützt wird der Reformer und Sozialdemokrat Wetzel auch von der Spitze der SPD. Deren Vorsitzender Kurt Beck sprach sich am Wochenende für „angemessene Lohnerhöhungen“ aus. Auch SPD-Vizekanzler und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering erinnerte an die Binnenkonjunktur. Und für den IG Metall-Bundesvorsitzenden Peters sind Aufrufe zur Lohnzurückhaltung, etwa durch den Metall-Arbeitgeberpräsidenten Martin Kannegiesser, ohnehin nur ein „schlechter Scherz“.