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Archiv-Artikel

Filmen, um zu flirten

Im Rahmen von „Speaking of Others“ dokumentiert das Netzwerk „tranzit“ in Frankfurt die osteuropäische Filmavantgarde und Performanceszene

von HORTENSE PISANO

Es sind keine politischen Aktionen. Mit seinen „unsichtbaren“ Performances erschafft Jirí Kovanda in erster Linien Situationen, so die Erklärung des tschechischen Kurators und „Tranzit“-Projektleiters Vít Havránek, die das repräsentative Theater dekonstruieren. Drei im Frankfurter Kunstverein gehängte Fotografien zeigen Kovanda 1975 an einer exponierten Stelle in Prag stehend. Passanten laufen arglos vorbei, nichts geschieht. Ein junger Künstler vollführt eine Aktion, die keiner sieht.

Schauplatzwechsel: Die Wiener Innenstadt 1968. Valie Export und Peter Weibel wollten auffallen – schockieren. Ins fotografische Gedächtnis eingegraben hat sich nicht nur ihr Spaziergang, bei dem Export ihren Künstlerfreund hündisch an die Leine nahm, sondern auch das „Tapp- und Tastkino“, das Passanten auf der Straße aufforderte, freizügig auf Exports Körper zuzugreifen.

Kovandas Inszenierung wirkt dagegen wie eine kalkulierte Verweigerung. „Theater“ nannte er seine Aktion ironisch, die acht Jahre nach dem Scheitern des „Prager Frühlings“ am Wenzelsplatz stattfand. Anders als die Wiener Kollegen spielte er damit auf die Angst vor möglichen Repressionen an.

Insgesamt haben Havránek (Prag), Dóra Hegyi (Budapest), Boris Ondreicka (Bratislava) und Georg Schöllhammer (Wien) für Frankfurt 37 Arbeiten unter dem Titel „Speaking Of Others“ ausgewählt. Sie stehen exemplarisch für das „Tranzit“-Netzwerk. bei dem vier unabhängige Kunstinitiativen aus vier Städten an einem Strang ziehen. Gegründet wurde die Initiative 2001, um lokale Künstler und Aktivitäten zu fördern, die „nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit gegenwärtiger Kulturpolitik stehen“. Dabei bildet nicht der postkommunistische Nachwuchs den Schwerpunkt, sondern die Generation der 60er-/70er-Jahre Konzeptkunst. Es ist ein relativ unbekanntes Terrain, dass sich der Betrachter über Handzettel mit Künstlernamen und Werktitel mühsam erarbeiten muss. Dabei wird klar, wie sehr der Anschluss an den westlichen Experimentalfilm und die frühen Videoperformances gesucht wurde.

Offensichtlich war nicht nur der Initiator unsichtbarer Aktionen Kovanda genau im Bilde, was die Kollegen im Westen produzierten. Seine Fotografien erweiterte er in der Schau um den 16-mm-Film „Denkakt“ (1968) von Ernst Schmidt jr. Darin sieht man auf einem Balkon wiederum Weibel sitzen, dessen ins Absurde abdriftende Gedanken über Film und Wirklichkeit separat aus dem Off eingespielt werden. Heute fast vergessen, bediente sich der Wiener Experimentalfilmer und Theoretiker Schmidt jr. eines einfachen Kinoeffekts, indem er zwischen dem Standbild und der schnell fortfahrenden Sprache eine Kluft erzeugte, was unsere Wahrnehmung aber effektiv überfordert.

Paul Kwicks „Video C“ kommt ganz ohne Worte aus und hinterfragt dafür 1974 vorausschauend die Computersprache. Nicht ohne Ironie lässt er ein Curserzeichen mausartig über den Arm spazieren, zumindest will es so die Illusion im Video. Inzwischen gehört diese Zukunftsvision ins Steinzeitalter der Informationstechnologie. Das ändert nichts an Kwicks wichtiger Rolle, die er für den strukturellen Film in Polen spielte. Mit Jósef Robakowski zählt er zu den Begründern der Łódźer Filmwerkstatt. Ihre Filme liefen bereits 1977 auf der 6. documenta. Umgekehrt sah man in Polen unter Umgehung der Zensur ebenfalls Videotapes von Künstlern aus dem Ausland. Trotz dieses Austausches begann die Wiederentdeckung der regimekritischen Filmemacher erst mit Polens Beitritt in die EU.

Während die von Kwick kommentierte Manipulierbarkeit menschlicher Wahrnehmung zu den übergreifenden Themen gehört, setzt man im Kunstverein auch auf die „kleinen Unterschiede“ in der Konzeptkunst. Dazu gehören technisch aufwendigere Videoperformances wie etwa Sanja Ivekovićs „Inter Nos“. Durch ein „Closed Circuit“-Verfahren trat die Performerin per Video in einen medial vermittelten Dialog zum Publikum im zweiten Raum. Eine Technik, die bereits Dan Graham in seinem „Time Delay Room 2“ 1974 anwandte. Doch während Graham neutral beobachtet, flirtet Ivecović verspielt mit einem unbekannten Gegenüber. Eine Inszenierung, die ihre Wurzeln sichtlich aus dem Theater bezieht, wozu auch die stimmungsgeladene Klaviermusik passt.

Performern wie der Kroatin Iveković bereitet Tranzit im Kunstverein buchstäblich eine Bühne. Alle drei Tage erhält ein anderer Künstler im „Auditorium“ eine Plattform, sein Werk oder eine Performance vorzustellen. Das Medium ist also die Botschaft. Ein kluges Konzept, das feste Positionen vermeidet, wo nach Kunstvereinsleiterin Chus Martinez noch keine Kunstgeschichtsschreibung besteht – zumal die westliche Performancetheorie nicht einziger Maßstab für die osteuropäischen Werke mit ihrer erkennbar eigenen Ästhetik und politisch differenten Hintergrund sein kann.

Schon jetzt sorgen junge Netzwerker wie „Little Warsaw“ dafür, dass die Diskussion nicht ohne sie stattfindet. So haben sie einen in Bronze gegossenen Berg auf einen Tisch gestellt. Man kann sich an dem Brocken die Zähne ausbeißen, ästhetisch gibt er nicht viel her. Man kann aber auch warten, bis „Little Warsaw“ nach Frankfurt kommt, um ihre Projektarbeit – live und on Stage – am 31. Januar vorzustellen.

Bis 4. März, Frankfurter Kunstverein