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Archiv-Artikel

Was soll die Ranschmeiße

In „The Queen“, dem nächste Woche anlaufenden Film von Stephen Frears, macht Tony Blair eine gute Figur. Im echten Leben hat der Premierminister weniger Fortune. Ein Rückblick auf das wechselvolle Verhältnis Blairs zur britischen Popkultur

Britpop war für Blair einVehikel, sich ein Image von Jugend und Erfolg zu geben

von HANNAH PILARCZYK

Im November 1996 versammelt sich die britische Kulturszene vor den Fotolinsen des US-Hochglanzmagazins Vanity Fair. Während sich im Groucho-Club der Künstler Damien Hirst, Blur-Bassist Alex James und der Comedian Keith Allen alle Mühe geben, das Shooting mit der Hilfe von Wodka und Kokain so anstrengend wie möglich für alle Anwesenden zu gestalten, wirbelt Vanity-Fair-Autor Toby Young im Hintergrund herum. Er will das legendäre Cover des Beatles-Albums „Abbey Road“ nachstellen. Mit Noel Gallagher, Paul Weller, Paul McCartney – und Tony Blair. Sein Plan scheitert letztlich an vollen Terminkalendern, aber immerhin tummeln sich Liam Gallagher und dessen Freundin Patsy Kensit für die Fotografen in einem mit Union-Jack-Wäsche bezogenen Bett. Die Bilder erscheinen im März 1997, pünktlich zum Start des Wahlkampfs in Großbritannien, unter einem Titel, der Geschichte macht: „Cool Britannia“. „Sag hallo zum hemdsärmeligen, lächelnden Tony Blair, Vorsitzender der aufstrebenden Labour Party“, schreibt Autor David Kamp. Zwei Monate später gewinnt Tony Blair die Unterhauswahlen mit einem Erdrutschsieg. Drei Monate danach empfängt er in der Downing Street No. 10 die Creme der britischen Kulturszene. Unter ihnen ist Oasis-Songwriter Noel Gallagher. Blur-Sänger Damon Albarn lehnt die Einladung ab. Sein Kommentar: „Enjoy the Schmooze“, viel Spaß mit der Ranschmeiße

Seit dem Tag, an dem Tony Blair verkündete, dass er für eine vierte Amtszeit nicht zur Verfügung stehen und noch in der dritten Legislaturperiode die Geschäfte an seinen Nachfolger übergeben werde, wird in Großbritannien über Blairs politisches Erbe diskutiert. Die Bilanzen, die seine Biografen ziehen, sind gemischt. John Rentoul lobt Blair für den Umbau des öffentlichen Dienstes. James Naughtie sieht im Irakkrieg die bleibende Hinterlassenschaft. Das ernüchterndste Resümee zieht Peter Riddell: Selbst die Wandlung von der sozialistischen Labour Party zur wirtschaftsfreundlichen New Labour sei nicht endgültig, schreibt er in seinem Buch „The Unfulfilled Prime Minister“. Wenn Blair abtrete, würde die Partei ihre charismatische Integrationsfigur verlieren und vieles von „Old Labour“, einem Feindbild, an dem sich Blair fast mehr als an den Tories abarbeitete, wiederaufnehmen.

Etwas, was die Rezeption von Blair in den folgenden Generationen entscheidend prägen könnte, fehlt in diesen Resümees: Wie kein westlicher Regierungschef zuvor hat Blair die Nähe zur Kulturszene gesucht. Und er ist noch während seiner Regierungszeit zum Gegenstand von Popsongs, Filmen und Büchern geworden. Wenn in der nächsten Woche Stephen Frears’ „The Queen“, ein Film über die erste Woche nach dem Tod von Prinzessin Diana, in die deutschen Kinos kommt, ist dies nur der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die ihren Ursprung noch vor Blairs erster Wahl zum Premierminister hat.

Nach dem plötzlichen Tod von Parteiführer John Smith übernimmt Tony Blair 1994 den Vorsitz der Labour Party. Es ist das Jahr, in dem sich die englischen Bands Blur und Oasis mit ihren Alben „Parklife“ und „Definitely Maybe“ dezidiert gegen den bislang dominierenden US-amerikanischen Grunge positionieren und damit Millionen von CDs verkaufen. Blair sieht im frisch getauften Britpop nicht nur ein Vehikel, um Labour ein Image von Jugendlichkeit und Erfolg zu verleihen. Er erkennt auch das ökonomische Potenzial der erstarkenden Musikszene und kürt sie – neben der Kunstszene mit ihren „Young British Artists“ – zum Modell der von ihm angestrebten Dienstleistungsgesellschaft: „Rock ’n’ Roll ist nicht nur ein wichtiger Teil unserer Kultur, es ist auch ein wichtiger Teil unserer Art zu leben. Es ist eine wichtige Industrie, es ist ein wichtiger Arbeitgeber, es ist überaus wichtig für die Zukunft unseres Landes“, sagt Blair am Ende des Jahres bei einer Preisverleihung des Lifestyle-Magazins Q. Pflichtbewusst nimmt seine Entourage Kontakt mit den Aufsteigern des Jahres auf.

Eine Zeit lang sind Blur dem Austausch mit dem aufstrebenden Oppositionsführer mehr als zugeneigt: Im März 1995 arrangiert Blairs Pressechef Alistair Campbell sogar ein Treffen von Sänger Damon Albarn mit Blair und dessen Stellvertreter John Prescott. Blurs Begeisterung für New Labour lässt jedoch schnell nach: Teils aus der Ernüchterung über den Erfolg ihrer Erzkonkurrenten Oasis gespeist, teils aus der Erkenntnis gewonnen, dass sie durch ihre Retrofixiertheit in der musikalischen Sackgasse gelandet sind, schwören Blur dem Britpop und seinem Chauvinismus ab. Als Blair 1997 in den Wahlkampf geht, kann er nur noch auf die Unterstützung von Oasis und von Alan McGee, deren Entdecker und Chef des Plattenlabels Creation, zählen. Mal schreibt Pressechef Campbell in McGees Namen einen Artikel für das Boulevard-Blatt Daily Record, in dem er Labour hochjubelt. Mal lässt Noel Gallagher bei den Brit Awards im November 1995 alle wissen, dass neben Oasis eigentlich nur Tony Blair der britischen Jugend etwas Hoffnung geben könnte.

Die Werbung in gemeinsamer Sache macht sich in jedem Fall bezahlt. Zwei Jahre später treffen sich Noel Gallagher und Blair bei Champagner in Downing Street No. 10 wieder. Gallagher ist mittlerweile zum Multimillionär aufgestiegen und fühlt sich sichtlich wohl im Kreis der Mächtigen, auch wenn ihm Blairs Leute überdeutlich oft aufs Klo folgen – sie wollen sichergehen, dass er sich auf der Toilette nicht Kokain reinzieht.

Die Champagner-Konversation markiert in zweierlei Hinsicht einen Wendepunkt. Sie illustriert überdeutlich, dass Britpop das Kappen aller subversiven Wurzeln britischer Rockmusik bedeutete. Und sie läutet die popkulturelle Verarbeitung von Blair und New Labour ein. 1998 veröffentlicht die Sheffielder Band Pulp den kleinen hässlichen Song „Cocaine Socialism“. Sänger Jarvis Cocker singt von einem fiktiven Treffen mit Politikern im Unterhaus. „Willst du eine Linie davon?“, bietet man sich dort an. Ein kurzes Schnüffeln, dann die Frage: „Bist du etwa ein Sozialist?“ Cockers 2006 veröffentlichte Solo-Single „Cunts still rule the World“ (Fotzen sind noch immer an der Macht) kann getrost so verstanden werden, dass sein Ekel vor der Verbrüderung mit der Politik anhält.

„Britische Musiker scheinen einen nie da gewesenen Grad an Folgsamkeit und Zurückhaltung erreicht zu haben“, urteilt der Musikjournalist John Harris in „The Last Party“, seiner ebenso ironischen wie warmherzigen Rekonstruktion des Aufstiegs und Falls von Britpop. Außer Radioheads „You and Whose Army“, schreibt Harris weiter, habe keine der profilierten britischen Rockbands einen Song über Blair gemacht. Dass es ausgerechnet Popsänger George Michael ist, der mit „Shoot the Dog“ den wütendsten Song über die Kumpanei von Blair und George W. Bush gesungen hat, bestätigt Harris mehr, als dass es ihn widerlegt.

Das politische Vakuum, das die Popmusik hinterlässt, füllt die Literatur. Mit „Saturday“ fängt Ian McEwan die dunklere, zerrissenere Seite Großbritanniens ein, wie sie sich am Vorabend des Irakkriegs Bahn bricht. Am 15. Februar 2003, dem Tag der weltweiten Antikriegsdemonstration, dringt der Protest gegen Blairs Kriegspolitik gewaltsam ins Leben eines arrivierten Chirurgen. Nicht nur hindern ihn die demonstrierenden Massen daran, pünktlich zu seinem samstäglichen Squash-Match zu kommen. Sie nähren auch seinen Zweifel daran, ob man ernsthaft gegen den Sturz einen blutrünstigen Diktators sein kann. Eine eindeutigere Position bezieht der Dramatiker und Drehbuchautor David Hare. In seinem 2004 uraufgeführten Theaterstück „Stuff Happens“ stellt er Blair und Bush als eiskalte Verschwörer dar, für die das Fantasma der Massenvernichtungsmittel nur ein politisches Werkzeug unter vielen ist.

Das dramatische Potenzial von New Labours Führungsriege selbst erkennt schließlich der Filmemacher Stephen Frears. Mit „Mein wunderbarer Waschsalon“ hat er den wohl schönsten Film über Thatcher-England gedreht. In dem TV-Drama „The Deal“ rekonstruieren Frears und sein Drehbuchautor Peter Morgan freihändig das Treffen von Tony Blair und Gordon Brown von 1994, bei dem die beiden aushandeln, dass zunächst Blair den Parteivorsitz und damit auch den Anspruch auf das Amt des Spitzenkandidaten übernimmt. Nach gewonnener Wahl und angemessener Zeit als Premierminister soll Brown Blair dann beerben. Der Film erhält in Großbritannien gemischte Kritiken.

Erst mit ihrer zweiten Zusammenarbeit ernten Frears und Morgan Begeisterung. In „The Queen“, der nächsten Donnerstag in die deutschen Kinos kommt, zeigen sie in einer Art Prolog den zugleich enthusiasmierten und verunsicherten Tony Blair, der nach seinem triumphalen Wahlsieg 1997 zur Königin fährt, um von ihr den Auftrag zur Regierungsbildung zu erhalten. Knapp vier Monate später führt das Schicksal Blair und Elizabeth II. wieder zusammen: Prinzessin Diana verunglückt tödlich. Während die Royals auf ihrem Sommersitz in Schottland verharren, ist Blair in London. Mit sichtlichem Genuss zeichnen Frears und Morgan nach, wie Blairs Populismus in der Woche bis zu Dianas Begräbnis eine neue Qualität erreicht. Er spürt, was die Leute bewegt, und schlägt mit seiner Rede von der „Prinzessin der Herzen“ die richtigen Saiten an. Er, nicht die Königin, ist in diesem Moment die Seele von England.

Auch wenn „The Queen“ eine Komödie ist – auf Blair bezogen schaut sich der Film wie ein bittersüßes Epitaph an. Politisch angezählt und gesundheitlich angeschlagen ist Blair seinem instinktsicheren Ebenbild von 1997 wohl so fern wie nie. Ironischerweise ist „The Queen“ einer der erfolgreichsten britischen Filme der letzten Jahre. Es scheint, als habe sich das popkulturell versierte, selbstbezügliche Cool Britannia neu erfunden. Nur diesmal ohne den realen Tony Blair. Viel Spaß mit der Ranschmeiße? Wohl kaum.