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Archiv-Artikel

Postkarten mit Europas Werten

Vom Adventskalender bis zum Schüleraustausch: Zahlreiche Projekte vermitteln an Berliner Schulen den europäischen Gedanken. Demnächst kommen sogar EU-Politiker und Bürokraten in die Klassen

Bundesweit soll am 22. Januar ein „Europatag“ in allen Schulen stattfinden

Von Alke Wierth

Dass in Litauen zu Weihnachten Heu auf den Esstisch gestreut wird, um an Jesus Geburt in einem Stall zu erinnern, dass in der Slowakischen Republik auch schlicht Brot und Wasser als Notwendigkeiten des alltäglichen Lebens auf dem ansonsten reichlichen Weihnachtstisch stehen – den Kindern der Siegerland-Grundschule in Spandau sind solche und noch viel mehr europäische Weihnachtsbräuche bekannt. Gemeinsam mit vielen anderen Schulen aus ganz Europa haben sie einen Internet-Adventskalender gebaut, der über unterschiedliche Weihnachtssitten von Spanien bis Lettland informiert.

Das ist nicht das einzige Europa-Projekt der Grundschule im Falkenhagener Feld. Die SchülerInnen der Siegerland-Schule pflegen über das World Wide Web Partnerschaften mit Schulen aus ganz Europa – in Ungarn, Spanien, Dänemark, Österreich, England, Schweden und Island. Für das Schulprojekt „Europäischer Frühling 2006“ haben sie mit ihren Partnerklassen Postkarten entworfen, die die europäischen Werte in Bildern ausdrücken. Regelmäßig chatten Viertklässler aus Spandau mit Gleichaltrigen auf dem ganzen Kontinent.

„Spannend“ sei dieser persönliche Austausch für die Grundschulkinder, meint Christoph Schubert, der Leiter der Siegerland-Grundschule. Besonders groß sei beispielsweise während der Fußball-WM das Interesse am Austausch mit den Partnerschulen gewesen. Dass bei solchen Projekten ganz nebenbei schon auch bei den jüngsten SchülerInnen der „europäische Gedanke“ entwickelt werde, ist der höchst erwünschte Nebeneffekt europäischer Schülerprojekte. Diese tragen Namen wie eTwinning oder Comenius, Leonardo oder jugend-schult-jugend, und kaum eine Möglichkeit oder eine Altersgruppe bleibt außen vor.

Während es für die Kleinen allerdings in der Regel vorerst beim virtuellen Austausch bleibt, können größere SchülerInnen Europa auch in ganz echt erleben. Die Merian-Oberschule in Köpenick pflegt Partnerschaften nach Finnland, Frankreich, Polen und in die Ukraine. An der Gesamtschule wird zweisprachig Deutsch und Englisch unterrichtet, die Schüler der Oberstufe erhalten in zwei Fächern englischsprachigen Unterricht und legen auch ihre Prüfungen in englischer Sprache ab. Der Schüleraustausch mit einer finnischen Oberschule gehört zum festen Programm, auch nach Frankreich und neuerdings in die Ukraine fahren regelmäßig Gruppen. Für ihr Projekt „Grenzüberschreitendes Leben in Europa“ wurde die Schule im Juni 2006 mit einem Preis ausgezeichnet. Im kommenden Schuljahr soll ein neues Unterrichtsfach mit dem derzeitigen Arbeitstitel „Tourismus“ SchülerInnen mit dem Denken, Fühlen und Handeln junger Menschen in ganz Europa vertraut machen.

Für die noch größeren können europäische Austauschprojekte sogar zu Berufserfahrung in anderen Ländern führen. Das Lise-Meitner-Oberstufenzentrum für Chemie, Physik und Biologie in Neukölln bekommt nach Angaben der EU-Beauftragten des Bezirks mittlerweile mehr als 2 Millionen Euro an Fördermitteln über EU-Projekte. Vor fast 20 Jahren hat die Schule ihre erste europäische Partnerschaft mit einer Schule in Großbritannien begründet, mittlerweile gibt es Partner in sechs europäischen Ländern. Die Schule unterstützt die SchülerInnen bei der Suche nach Praktika im europäischen Ausland – für ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine große Bereicherung.

Kaum eine Schule kommt heute ohne europäische Kontakte aus. Das Thema Europa steht nicht nur in den Lehrplänen, sondern sogar im Berliner Schulgesetz, und die Senatskanzlei bietet auf einer eigenen Webseite unter der Überschrift „Europa in der Schule“ Informationen über Unterrichtsmaterialien, Lernorte, Projekte oder Kooperationspartner zum Thema.

Zur Übernahme der Ratspräsidentschaft wird noch mal kräftig auf die Tube gedrückt. Bundesweit soll am 22. Januar ein „Europatag“ in allen deutschen Schulen stattfinden. In Berlin haben bereits mehr als 50 Schulen ihre Beteiligung angekündigt. An diesem Tag werden Politiker und Bürokraten der Europäischen Union Schulen Besuche abstatten, um mit Kindern und Jugendlichen über Europa zu diskutieren – selbst die Kanzlerin hat den Besuch einer Schule in Marzahn-Hellersdorf angekündigt. Da wird französisch gefrühstückt, polnisch gesungen oder europäisch gemalt.

Auch die Schüler und Schülerinnen der Spandauer Siegerland-Grundschule sind wieder dabei: Sie präsentieren eine Ausstellung mit Bildern, die von ihnen selbst und den SchülerInnen ihrer europäischen Partnerschulen gemalt wurden – diesmal ganz altmodisch mit der Post verschickt.