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BILANZ Von postmigrantisch zu unternational: Das Maxim Gorki Theater werkelt weiter daran, Festschreibungen zu unterwandern

Die Schauspieler sind jünger als anderswo. Das zeigt sich in einer unbefangenen Spielweise

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Wird das Maxim Gorki Theater Berlin zum Theater des Jahres gewählt? Als im Mai während des Theatertreffens eine Gruppe Theaterkritiker auf einem Podium zusammensaß, wagte ein erfahrener Kollege diese These. Aber nicht, weil das Programm ihn überzeugt, sondern weil das kleinste der Berliner Stadttheater eine Spielzeit lang die höchste Aufmerksamkeit seitens des Feuilletons erfuhr.

Das war vor allem der Einsicht geschuldet, dass am Gorki-Theater unter der Leitung von Shermin Langhoff und Jens Hillje etwas Notwendiges passiert: die Öffnung des Theaters gegenüber der Diversität einer Gesellschaft, die von mehreren Generationen der Einwanderung geprägt ist. Zwar ist die Erkenntnis gewachsen, dass es vielen deutschsprachigen Theatern an Künstlern und Strategien mangelt, um einen Hunger nach mehr Differenz in Erzählungen und Identitätsentwürfen befriedigen zu können. Schließlich wird genau das von jenen, die sich ausgeschlossen sehen, zunehmend lauter eingefordert. Darauf einzugehen, fällt den Theatern aber schwer, bedeutet es doch auch Umbau im Personal. Wer aber wie Langhoff und Hillje als Intendantenteam neu anfängt und ein junges multiethnisches Ensemble aufbaut, setzt damit ein Signal.

So konnte sich Shermin Langhoff, als das Gorki am Donnerstag Bilanz zog, vor allem für das Wohlwollen bedanken, das ihre Arbeit in der ersten Spielzeit begleitet hat – innerhalb des Hauses und in der öffentlichen Wahrnehmung. Das Interesse am Projekt schlägt sich in einer Auslastung von 88 Prozent nieder, und in einer Million Euro an Drittmitteln, die das Gorki von staatlichen, privaten und politischen Stiftungen erhalten hat.

Als sie noch als Kuratorin am Hebbel-Theater arbeitete, hat Langhoff den Begriff der postmigrantischen Kultur programmatisch eingeführt. Sie wurde damit am kleinen Ballhaus Naunynstraße so erfolgreich, dass er ihr nun als Label ins Gorki-Theater gefolgt ist. Aber man könnte dieses Haus, im Vergleich mit den großen Bühnen Berlins, auch anders labeln: Im Schnitt sind seine Schauspieler, Autoren und Regisseure jünger als anderswo. Das zeigt sich oft auch in einer der Theatergeschichte gegenüber recht unbefangenen Spielweise. Und es arbeiten mehr Frauen als Autorinnen und in der Regie als sonst üblich.

Anstrengend? Ja klar!

Und auch mehr Menschen mit Transgender. Das betont Marianna Salzmann, Hausautorin am Gorki und Leiterin des Studios. Berlin platzt fast vor Exilkünstlern, sagt sie, die mit dem Studio eine Plattform eingerichtet hat für die Künstler, die neu in Berlin angekommen sind und Lust haben, sich mit Theater und politischer Theorie zu beschäftigen. Klingt anstrengend? Ja, aber dazu sind wohl viele bereit: Die Veranstaltungen des Studios waren mit 92 Prozent ausgelastet.

Salzmann macht viele Programme zusammen mit Daniel Kahn, Theatermusiker und Musikkurator im Studio. Der bringt einen neuen Begriff ins Spiel, das „Unternationale“, mit dem eine Reihe von Konzerten der kommenden Spielzeit überschrieben ist. „Un-“ wie in unbewusst, „unter“ wie in untergründig startet das „Unternationale“ gegen die Kategorie nationaler Zuschreibungen mit einer musikalischen Vielsprachigkeit. Russisch, Jiddisch, Kroatisch, Englisch, Arabisch gehören auf jeden Fall dazu. Die Vielsprachigkeit ist auch auf der Bühne des großen Hauses ein Thema und ein ästhetisches Mittel. In „Angst essen Seele auf“, der letzten Premiere der Spielzeit, sang Kahn Balladen in einem deutsch-englisch-jiddischen Kauderwelsch. In „Common Ground“, einem großartigen Stück der Regisseurin Yael Ronen über eine Reise von exjugoslawischen Schauspielern an die Schauplätze der Balkankriege, gehören Sprachwechsel (und Übertitelung) zum Thema selbst. Dass eine Muttersprache immer selbstverständlich wäre, gilt eben heute für viele Menschen nicht mehr. Auch für viele Berliner nicht. Das ist auf der Theaterbühne ein sehr konkreter Ansatzpunkt. „All plays with english surtitles“ wirbt das Theater.

Tiefe Verunsicherung

Blickt man zurück auf die erste Spielzeit, kann man viele Inszenierungen empfehlen. Inhaltlich am meisten Zündstoff bieten noch immer die „Schwarzen Jungfrauen“, die Wiederaufnahme einer Inszenierung von Nico Celik nach einem Text von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Diese Protokolle der Radikalisierung junger muslimischer Frauen, die im Heiligen Krieg das finden, was ihnen der Alltag in Deutschland verweigert, klingen acht Jahre nach der Uraufführung weniger phantasmagorisch, als man damals vielleicht hoffen mochte. Ähnlich tief in die Prozesse von Selbstentwürfen und Verunsicherung von jungen Frauen blickt „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“, von Sebastian Nübling, inszeniert nach einem Text von Sibylle Berg. Beide Aufführungen verbinden ein abstraktes Setting mit einem Diskurs, von dem man viele beunruhigende Fragen mit nach Hause nimmt.

Andere Stücke wie „Angst essen Seelen auf“ sind dagegen unterhaltsames Erzähltheater, sehr emotional und liebevoll im Detail. Da geht es nicht unbedingt um den großen ästhetischen Wurf. Der Regisseur Hakan Sava Mican will mit der Geschichte der Liebe zwischen der Putzfrau Emmi und dem zwanzig Jahre jüngeren Gastarbeiter Ali nicht mit der dunklen Bildsprache des Fassbinder-Films konkurrieren. Sein Rückblick auf eine vierzig Jahre alte Geschichte verkneift sich sogar, Parallelen zu ziehen zwischen der kleinbürgerlichen Fremdenfeindlichkeit der 60er Jahre mit den besser getarnten Ausschlussgesten von heute.

Aber dennoch: Wenn Emmi, gespielt von Ruth Reinicke, seit 1979 am Gorki-Theater und die älteste Schauspielerin am Haus, das erste Mal mit Ali (Taner Sahintürk) allein ist, beide von ihren Familien erzählen, von ihrer Einsamkeit, dann kann man darüber erschrecken, dass solch ein zarter Moment nach wie vor nichts von seiner Ungewöhnlichkeit verloren hat.

Ob das Gorki tatsächlich Theater des Jahres wird, zeigt sich im August, wenn die Zeitschrift Theater heute ihre Kritikerumfrage veröffentlicht.